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Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Titel: Enwor 10 - Die verbotenen Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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nur Furcht. Sie hatte Angst; Angst vor Rowl, Angst vor diesem vermeintlichen Berg und vor allem Angst um ihn. Skar, der den Gedanken an seinen eigenen Tod längst akzep-tiet hatte und den Moment nur noch hinauszögerte, weil es vorher noch etwas zu
tun
galt, nicht weil er Angst davor hatte, vergaß manchmal, daß nicht jeder so gelassen über sein eigenes Ende nachzudenken vermochte wie er.
    »Vielleicht glaube ich es auch nur«, sagte er. »Spielt das eine Rolle?«
    »Noch nicht«, sagte Kiina wütend. »Aber bald. Morgen oder in drei Tagen.«
    »Dann warten wir bis morgen oder in drei Tagen«, antwortete er. »Wir haben sowieso keine andere Wahl — nicht wahr, Titch? Oder hast du
wirklich
einen Plan, wie wir hier herauskommen?« Titch sah weg.

A ber es dauerte keine drei Tage, sondern nur eine Nacht und ein paar Stunden. Sie hatten nicht mehr lange geredet; danach. Titch hatte sich nach einer Weile unter einem fadenscheinigen Vorwand zurückgezogen, und als er gegangen und Skar mit Kiina allein war, spürte er plötzlich, wie sehr ihn die Ereignisse der vergangenen Tage angestrengt hatten. Die Zeit auf Crons Hof und die Pflege der alten Quorrl hatten seine Kräfte ein wenig regeneriert, aber schon der Ritt nach Caran hatte diese neugewonnene Stärke wieder aufgebraucht. Und alles, was danach gekommen war, zehrte von seiner Substanz; dem letzten bißchen Lebenskraft, das noch in ihm brannte — ein Vorrat für drei Tage, allerhöchstens vier oder fünf, wenn er Scrat glauben konnte.
    Er schickte Kiina fort und streckte sich auf dem unbequemen Bett aus Metall und zerschlissenen Decken aus, und trotz allem fiel er fast sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf, aus dem er erst am nächsten Morgen erwachen sollte.
    Dem Morgen des Tages, an dem alles zu Ende ging.

E r erwachte, und er wußte, daß es früher Morgen war. Es gab hier drinnen keinen Unterschied zwischen Tag und Nacht; das düsterrote Licht aus dem Nirgendwo leuchtete ununterbrochen, und auch die Bastarde schienen ihren eigenen Lebensrhythmus gefunden zu haben, der mit dem der Welt draußen nicht mehr viel gemein hatte. Aber seine innere Uhr arbeitete jetzt wieder so präzise und verläßlich wie früher, und als er die Augen aufschlug und die Beine von seinem unbequemen Nachtlager schwang, wußte er, daß jetzt auch draußen über den Bergen die Sonne aufging.
    Und noch etwas hatte sich verändert: Skar fühlte sich besser.
    Es war keine Einbildung; auch nicht der berühmte Glaube, der Berge versetzen und sogar Krankheiten heilen konnte, wenn er nur fest genug war — es war eine
spürbare
Besserung. Sein Rücken schmerzte und fühlte sich taub an, aber das lag nur an dem unbequemen Bett, auf dem er geschlafen hatte. Zum ersten Mal seit Wochen erwachte er nicht mit Übelkeit und quälendem Durst in der Kehle, und zum ersten Mal seit ebenso langer Zeit kostete es ihn kaum Mühe, aufzustehen und sich anzukleiden.
    Und wie lange es her war, daß er sich — wie jetzt — frisch und
wirklich
ausgeruht vom Schlaf erhoben hatte, wußte er schon gar nicht mehr zu sagen.
    Als er sein Zimmer verlassen wollte, fiel sein Blick auf den rechteckigen blinden Spiegel, der neben der Tür in die Wand eingelassen war (Skar wußte, daß es alles andere als ein
Spiegel
war, aber solange seine unheimliche Macht nicht erwachte, erfüllte das mattrosa Glas diesen Zweck hervorragend), und was er sah, ließ ihn mitten im Schritt stocken und sein Spiegelbild betrachten. Es war ein Anblick, der ihn zugleich entsetzte und mit einer fast verzweifelten Hoffnung erfüllte.
    Was ihn entsetzte, war sein eigenes Aussehen: er hatte mindestens dreißig Pfund an Gewicht verloren. Seine Wangen waren hohl und fleckig, graue Schatten, die sich auch auf seinem übrigen Gesicht, seinem Hals und den Armen fanden. Sein Zahnfleisch war zurückgegangen, so daß sein Lächeln etwas vom Grinsen eines Totenkopfes haben mußte, und er hatte in den letzten Tagen einen Großteil seiner Haare verloren, ohne es auch nur selbst zu merken: aus der beginnenden Stirnglatze, über die er sich seit zwanzig Jahren ärgerte, war Kahlheit geworden, die fast bis zum Scheitel hinaufreichte. Seine Augen waren tief in die Höhlen zurückgekrochen und mit dunklen Ringen unterlegt.
    Und trotzdem: als er das letzte Mal bewußt in einen Spiegel gesehen hatte, war es
schlimmer
gewesen. Rowl hatte die Wahrheit gesagt. Caran schützte ihn. Die stählernen Mauern dieser uralten Ruine hielten selbst dem Ansturm des Todes

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