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Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Enwor 10 - Die verbotenen Inseln

Titel: Enwor 10 - Die verbotenen Inseln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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stand.
    Er hob die Hand und streckte zitternd die Finger nach seinem Spiegelbild aus. Das Gespenst im Spiegel vollzog die Bewegung getreulich nach, und Skar führte sie nicht zu Ende; seine Finger verharrten zitternd Millimeter über dem geborstenen Glas, als hätte er Angst, das Bild darin könne ebenso zerspringen, wenn er es berührte.
Sah er es wirklich, oder wollte er es nur sehen? Und was war das da hinter ihm, dieser Schatten, klein und schlank und insektenhaft und —
    Skar schloß die Augen, ballte die Hand zur Faust und zwang sich, an nichts zu denken. Das Bild des
Daij-Djan
verschwand aus seinem Kopf, und als er die Augen wieder öffnete, war es auch aus dem Spiegel verschwunden. Alles, was er sah, war gerissenes Glas und sein eigenes Spiegelbild, das durch die Sprünge in der reflektierenden Fläche gleichsam in mehrere Teile zerschnitten schien, die nicht ganz genau aufeinanderpaßten.
    Skar blieb lange Zeit so stehen und betrachtete den grauen Totenkopf, der ihm aus der spiegelnden Fläche entgegengrinste.
    Er suchte nach neuen Zeichen des Todes, neuen Spuren, die vielleicht das Gegenteil dessen bewiesen, was ihm dieses Bild sagen wollte. Diese eine Nacht bewies nichts, dachte er. Es konnte Zufall sein; vielleicht nur ein letztes Aufflackern seiner schwindenden Kräfte, dem der endgültige Zusammenbruch folgte. Oder vielleicht doch nichts als die Kraft seiner eigenen Einbildung.
    Aber irgend etwas sagte ihm, daß es nicht so war.
    Er beschloß, Kiina und Titch gegenüber zumindest vorerst nichts von dieser Veränderung zu erwähnen: Titch hätte es beunruhigt, und Kiina garantiert zu neuen bissigen Bemerkungen provoziert. Und er hatte weder Lust, Titchs Nervosität zu schüren, noch Kiinas Streitlust. Er lächelte seinem eigenen Spiegelbild zum Abschied zu — die Wirkung war so erschreckend, daß er sich fest vornahm, in Zukunft nicht mehr zu lächeln, wenn er nicht allein war — nahm seinen Mantel vom Stuhl und verließ die Kammer. Statt des schweren groben Quorrl-Mantels trug er jetzt wieder den schwarzen Umhang eines Hohen Satai; ein Kleidungsstück, das für die feuchte Kälte hier drinnen fast zu dünn war, ihm aber angemessen schien, um Rowl gegenüberzutreten.
    Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte er sich wieder als der, der er war: nicht einfach nur ein Satai, sondern der
Herrscher
der Satai. Nur das vertraute Gewicht des
Tschekal
an seiner Seite fehlte. Er würde Rowl bitten, ihm die Waffe zurückzugeben, sobald sie Caran verließen.
    Der halbtote Herrscher über ein nicht mehr existierendes Volk, Bruder,
flüsterte eine Stimme in seinen Gedanken.
Hast du Dels Worte schon vergessen? >Es gibt nicht mehr viele Satai. Vielleicht sind wir beiden die letzten, die überlebt haben.<
    Aber nicht einmal dieser Gedanke vermochte seine Hochstimmung zu zerstören. Und er hatte sich eingebildet, den Tod nicht zu fürchten? Lächerlich. Jetzt, als ihm eine neue Gnadenfrist geschenkt worden war, begriff er, daß er sich die ganze Zeit über selbst belogen hatte. Auch ein Satai war nicht vor der Angst gefeit.
    Auch nicht davor, sich zu verlaufen.
    Skar passierte die zweite Gangkreuzung, als ihm klar wurde, daß er nicht mehr genau wußte, wo er war. Er blieb stehen, sah sich um und drehte sich schließlich einmal um seine Achse. Sein Blick tastete die zerborstenen Wände ab, suchte nach etwas Vertrautem und fand nichts. Die halbrunden, von flüssigem rotem Licht erfüllten Gänge waren alle gleich; es gab nichts, woran er sich orientieren konnte. Bisher war das auch nicht nötig gewesen, denn Skar war niemals
allein
durch einen der Stollen gegangen. Aber Rowl hatte darauf verzichtet, eine Wache vor ihren Türen zu postieren, wohl, um ihnen zu beweisen, daß sie wirklich seine Gäste waren, und nicht seine Gefangenen — eine großmütige Geste, die Skar zum Verhängnis hätte werden können, hätte er seinen Irrtum nur ein wenig später bemerkt.
Meilen über Meilen von Gängen, Satai. Und ich habe Dinge dort gesehen, die schrecklich waren.
    Gottlob hatte er nicht den Fehler begangen, irgendwo abzubiegen. Er mußte einfach nur den Weg zurückgehen, den er gekommen war, um sein Quartier wiederzufinden. Schlimmstenfalls würde er zu Titch oder Kiina gehen und bei ihnen warten, bis Rowl jemanden schickte, um sie zu holen.
    So weit die Theorie.
    In der Praxis fand er auch sein eigenes Zimmer nicht wieder.
    Die Tür war verschwunden. Skar war vollkommen sicher, sie nicht hinter sich geschlossen zu haben,

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