Enwor 11 - Das elfte Buch
Gewicht seines Körpers zu tragen. Doch immerhin hatte der Schmerz zwischen seinen Beinen nachgelassen und kurz danach waren auch seine Gedanken zur Ruhe gekommen. Das leise innerliche Wispern, das ihn selbst während des Kampfes gegen die
Khtaam
nicht vollständig in Ruhe gelassen hatte, war einem Gefühl entspannter Erschöpfung gewichen; von der Ausgeglichenheit, in die er früher mit Leichtigkeit hineingeglitten war, war er dennoch meilenweit entfernt. Aber alles war besser als der rastlose, unwirkliche Zustand, den er so oft in den letzten Tagen empfunden hatte und der ihm wie eine gleichermaßen bedrohliche wie penetrante Verbindung mit etwas Gefährlichem und ungemein Fremdem erschien, von der nichts Gutes zu erwarten war.
Der Himmel über ihnen, in dem der Drache vor einer knappen halben Stunde verschwunden war, war innerhalb der diesigen Glocke nicht mehr zu erkennen und je mehr sich das Tal zuzog, umso kälter wurde es. Aber vielleicht war es auch nur die zunehmende Entspannung und das Nachlassen des Schmerzes an seiner empfindlichsten Stelle, die ihn die Kälte deutlicher spüren ließ. Skar rieb sich schaudernd die Hände und drückte sich so tief wie möglich in die windgeschützte Ecke in dem Gewirr herabgefallener morscher Äste und zusammengeklaubter Blätter, das ihm, Esanna und dem Nahrak halbwegs Schutz vor der unangenehmen Witterung bot.
»Das nicht hätte passieren dürfen«, sagte Kama kläglich. Der Nahrak starrte zum wiederholten Mal auf das Ding in seinen Händen, das er Steuerung genannt hatte und das jetzt nur noch wie ein besonders glänzendes Stück Eisen aussah; von einem irisierenden Licht war keine Spur mehr zu erkennen.
»Was?«, fragte Esanna einsilbig. Das Mädchen hatte sich erstaunlich schnell erholt. Sein eingerissenes, besudeltes Gewand war zwar nicht mehr als ein dreckiger Lumpen und es hatte mehr Prellungen, Abschürfungen und Bissverletzungen abbekommen als eine ganze Thekenmannschaft, die in eine Wirtshausschlägerei verwickelt gewesen war —aber dass sie sich nach ihrem gemeinsamen, etwas rauen Sturz von dem Frarr überhaupt wieder so weit aufgerappelt hatte, dass sie jetzt auf Kamas Worte reagieren konnte, war mehr als erstaunlich.
»Dass mir sein der
Frarr
entwischt«, sagte Kama. »Ohne ihn wir nicht kommen rechtzeitig zu den Satai.«
»Von den Satai habe ich die Schnauze voll«, murmelte Skar.
Über Kamas Züge huschte so etwas wie ein flüchtiges Lächeln. »Da du sein nicht der Einzige«, sagte er. »Viele Menschen und Quorrl empfinden so.«
Skar nickte nur und schlang die Arme enger um die Beine. Die Anstrengungen des vergangenen Tages und der verrückten Nacht forderten ihren Tribut — jetzt, wo er zur Ruhe kam, und seinen gröbsten Hunger und Durst durch die hauptsächlich von Kama zusammengesammelten wasserreichen Roten Beeren, Schmerling-Pilze und Alarcon-Wurzeln gestillt hatte. Zum ersten Mal in seinem Leben war er das Kämpfen wirklich leid. Hätte sich in diesem Augenblick vor ihm der Nebel gelichtet und ein Dutzend
Khtaam
ausgespuckt, hätte er sich nicht mehr gewehrt. Es war ein Gefühl, das ihm fremd war, gegen das er aber nicht anzukämpfen versuchte. Vielleicht war es der Einfluss der lebendigen Höhle und dieses abscheulichen Schlunds, der ihn dazu gebracht hatte, zwei Nahrak in die Tiefe zu stoßen; eine Tat, die er nicht einzuordnen vermochte und die er so weit es ging an den Rand seines Bewusstseins drängte.
»Auch viele Digger hassen die Satai«, fügte Esanna hinzu. »Obwohl sie andererseits auf ihren Schutz angewiesen sind.«
Skar sah flüchtig zu ihr hoch. Während sie mit einem wenig begeisterten Gesichtsausdruck auf einem der kleinen braunen Schmerling-Pilze herumkaute, die hier überall wuchsen und die ihnen Kama als besonders nahrhaft angepriesen hatte, erschien sie ihm auf eine schwer zu bestimmende Art gleichzeitig aufgeregt und vollkommen erschöpft, und dabei so angespannt, dass sie sich ganz anders als ein junges Digger-Mädchen verhielt, eher wie eine junge Kriegerin. Vor allem aber wirkte sie wie ein Mensch, der über einer schwerwiegenden Entscheidung brütet und sich noch nicht ganz sicher ist, zu welcher Seite das Pendel für ihn ausschlagen wird.
»Die Satai sein ein sehr zweifelhafter Schutz«, sagte Kama. »Mir sein der
Frarr
viel lieber.«
»Wo ist er denn jetzt hin, dein famoser
Frarr?«,
fragte Esanna verächtlich, betrachtete misstrauisch den Pilz, den sie gerade in der Hand hielt, und schnippte ihn dann weg.
Weitere Kostenlose Bücher