Enwor 11 - Das elfte Buch
seinen Körper gespürt hätte. Das fremde, substanzlose Etwas ließ nicht nach, sondern im Gegenteil: Es griff entschlossen nach seinen Gedanken, streckte seine Fühler aus… wie ein feines, filigranes Netz, das sich fast unmerk-lich über ihn stülpte, um die Kontrolle über ihn zu erlangen. Das sich langsam steigernde Bohren und Herumstochern wurde allmählich immer unangenehmer, steigerte sich zu einem peinigenden Drängen, bis es so unerträglich wurde, dass alles in ihm danach schrie, die tiefe Schwärze der Bewusstlosigkeit endlich vollkommen abzuschütteln und hinaufzutauchen in die Welt, was auch immer ihn dort erwarten würde. Doch die unsichtbare zähe Wand, die ihn in einem Kosmos aus Schwärze und Wärme gefangen hielt, ließ sich nicht so ohne weiteres beiseite schieben und fast schien es ihm, als wollte sie ihn für immer ins Vergessen zurückdrängen. Er kämpfte dagegen an, versuchte die Fesseln der Ohnmacht abzustreifen, obwohl er sie andererseits genoss: das Gefühl, frei von jeder Verantwortung und Entscheidung zu sein und nicht einmal denken zu müssen, solange er nur nicht die Augen aufschlug. Denn er ahnte, dass die Wirklichkeit schlimmer sein würde als alle quälenden Erinnerungen und als das fremd-vertraute Tasten in seinem Kopf.
Dann berührte eine Hand seine Schulter und der Schleier zerriss; er erwachte. Bevor er überhaupt noch begriff, wo er war und wie er hierher gekommen war, jagte glühender Schmerz durch seinen Körper, ein Schmerz, der keinen Ursprung zu haben schien und sich ausdehnte und in seinem Körper wühlte, als wollte er ihn gleich wieder in die Schwärze des Vergessens zurückschicken. Doch dagegen hatte offenbar jemand etwas. Der Unbekannte schlug ihm ins Gesicht, nicht sehr fest, aber beständig, und eine helle Stimme rief immer wieder seinen Namen.
Er versuchte die Augen zu öffnen, aber es wurde nur ein schwaches Blinzeln daraus, kaum ausreichend, um zu erkennen, dass er auf dem Rücken inmitten einer gewaltigen Trümmerhalde lag. Das schwache grünliche Licht, das diesen Teil der Höhle erleuchtete, blendete ihn zwar nicht, war ihm aber merkwürdig unangenehm und um ein Haar wäre er wieder in das schwarze Treiben zurückgeglitten, das ihn noch immer mit ewigem Vergessen lockte und umwarb.
Eine erneute und diesmal deutlich heftigere Ohrfeige brachte ihn in die Wirklichkeit zurück und dann zerriss der dünne Schleier endgültig, den die Bewusstlosigkeit zwischen ihn und seine Sinne gesenkt hatte, und er begann zu begreifen, woher die Bruchstücke und Gesteinsbrocken gekommen waren, die diesen Bereich der Höhle wie eine Abbruchhalde zugeschüttet hatten. Noch immer halb verzerrt von treibenden grauen Schleiern, starrte er in Esannas Gesicht.
Zwei kräftige Hände hatten ihn am Kragen gepackt und halbwegs in die Höhe gezerrt, während Esanna ihn abwechselnd rechts und links ohrfeigte, als sei das der einzige Weg ihn aus dem Reich der Schatten zurückzuholen. Vielleicht war er das auch, denn noch immer fühlte Skar das begehrliche Versprechen der Dunkelheit, nie wieder Verantwortung übernehmen zu müssen, wenn er sich ihr nur ergab.
Esanna schlug noch drei-, viermal zu, dann schien sie endgültig davon überzeugt zu sein, dass er wieder bei Bewusstsein war. Die andere Person, die Skar nicht erkennen konnte, weil sie in seinem Rücken war, zog ihn wie eine willenlose Puppe ein Stück weiter und lehnte ihn gegen einen kalten Steinquader. Sofort sackte er wieder zusammen, aber Esanna zerrte ihn hoch und stützte ihn mit einer fast behutsamen Bewegung, die nach ihren Schlägen seltsam deplatziert wirkte.
»Verstehst du mich?«, fragte sie besorgt.
Er nickte und auf ihrem Gesicht machte sich ein erster Schimmer vorsichtiger Erleichterung breit. »Alles in Ordnung mir dir?«, fragte sie noch einmal.
»Ja«, stöhnte er. »Aber du kannst aufhören auf mich einzuschlagen. Ich habe für heute genug.«
Esanna atmete hörbar auf, ließ seine Schultern los — und griff rasch wieder zu, als er erneut zur Seite zu kippen drohte. Die Schmerzen ebbten allmählich ab, aber in seinem Kopf drehte sich alles und er hätte nicht sagen können, dass er auch nur im Entferntesten eine Ahnung hatte, was genau passiert war.
»Was… ist… passiert?«, fragte er. Seine Stimme war nicht viel mehr als ein heiseres Krächzen, das mit menschlichen Lauten kaum noch etwas zu tun hatte.
»Ich dachte, du seist tot«, sagte Esanna leise. »Du bist voller Blut… und voller
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