Enwor 11 - Das elfte Buch
Masse gestemmt hatte. Das Gewimmel in der Höhle wurde nun vollends unübersichtlich. Behaarte Larven und der tentakelbewehrte Bodenschleim quirlten in- und übereinander, Schwaden pulverisierten Gesteins erschwerten sowohl die Sicht als auch das Atmen und immer wieder aufplatzende Wandteile schleuderten Gesteinswolken und weitere Larven in den Raum.
Ganz in seiner Nähe begann einer der Nahrak laut und gellend zu schreien. Aus den Augenwinkeln sah Skar, wie der heftig strampelnde und sich immer noch verzweifelt wehrende Mann von ein paar Peitschenarmen zu Boden gerungen wurde, während gleichzeitig eine Wolke flaumiger Larven seinen Kopf einnebelte. Auch Skar selbst geriet nun wieder in Gefahr ein Opfer der Tentakel zu werden, die wie bösartige Schlangen über seine nackten Beine glitten. Vielleicht,
vielleicht
hatte er noch eine Chance, wenn er das Mädchen, ohne zu zögern, losließ und lossprintete.
Er glaubte es nicht. Aber es änderte auch nichts. Ohne auf das widerwärtige Gekrabbel an seinen Beinen zu achten, ließ er seine ganze Energie in die Arme fließen, eine Fertigkeit, die man jungen Satai während ihrer Ausbildung als Geheimtechnik beibrachte, um in ausweglosen Situationen Zusatzkräfte zu entwickeln, mit denen sich überlegene Gegner überraschen ließen. Durch seine Arme ging ein Kribbeln und gleichzeitig schienen sie wärmer und schwerer zu werden. Währenddessen glitt alles andere aus seiner Wahrnehmung und er war nur noch Kraft und Energie.
Als er aufschrie, war sein Schrei gleichzeitig die Verbindung der in seine Arme geflossenen Zusatzenergie. Er legte so viel Kraft in diese eine Bewegung, dass Esanna drohte, regelrecht auseinander gerissen zu werden. Ihr Oberkörper schnellte ihm entgegen. Tentakel hingen plötzlich in der Luft, peitschten dem Mädchen nach, erbärmliche und viel zu träge Versuche sie noch zu erreichen, bevor Skar den ganzen Körper aus der Masse gerissen hatte und mit dem zuckenden Mädchen einen kraftvollen Schritt zurücksprang.
Das Geschmeiß schien nicht bereit zu sein, sein schon sicher geglaubtes Opfer kampflos aufzugeben. Ein Nebel von Khtaam-Larven hüllte ihn augenblicklich ein und aus der schwarzglänzenden, wimmelnden Schicht zuckten zungengleich Arme empor. Skar schrie vor Zorn und Entsetzen, als er begriff, dass weder er noch die Nahrak das Hauptziel der unheimlichen Attacke waren, sondern das tot wirkende Mädchen in seinen Armen.
Es war ein bizarrer, unwirklicher Kampf. Die — das? —
Khtaäm
schienen nur noch ein Wesen zu sein, beseelt von dem Gedanken Esanna zu sich zu ziehen,
in sich aufzunehmen,
und alles andere, das Zusammenbrechen der Höhle, das Poltern und Aufschlagen von Gesteinsbrocken, das Heranwirbeln der Larven, die Angriffe auf die wenigen noch lebenden Nahrak oder auf Skar selbst, wurde seltsam unwichtig. Endlose Augenblicke hatte nur der Kampf um das Mädchen Bedeutung, den Skar mit dem
Khtaam
ausfocht, das in so vielfältiger Gestalt über ihn hereinbrach und dem er sich kaum erwehren konnte.
Er hätte nie eine Chance gehabt, wenn er nur auf sich selbst angewiesen gewesen wäre. Dutzende von Fangarmen zerrten an ihm und dem Mädchen. Seine verkrampften Muskeln wollten ihm den Gehorsam verweigern, aber er gestattete sich nicht den Schmerz an sich herankommen zu lassen. Und dennoch — ein einzelner Mensch gegen die Vielfältigkeit des Grauens, gegen die titanische Macht einer bösartigen und fremden Intelligenz: Das war absurd.
Es wurde etwas in ihm erweckt, etwas, das nichts mehr mit normalem Menschensein zu tun hatte, nicht minder fremdartig und vielleicht auch nicht minder bösartig als der Angreifer. Sein Körper wurde zum Gefäß für eine Kraf, die weit über alles Menschliche hinausging. Eine ungeheure Energiewelle durchflutete ihn.
Es war kein Kampf, es war…
Unbeschreiblich. Die Zeit schien stehen zu bleiben.
Etwas Grauenhaftes ging mit ihm vor, etwas, das viel mehr war als der Kraftzuwachs, den er gewann, weil er, wieder einmal, über sich hinauswuchs. Er wurde zum Werkzeug von irgendetwas Anderem, Unbeschreiblichem…
Aber es war zu spät. Sein Körper war dem Kraftzuwachs nicht gewachsen. Seine Finger hatten sich so fest in Esannas Schultern gekrallt, dass er sie nicht mehr bewegen konnte. Sein ganzer Körper fühlte sich wie abgestorben an. Es tat entsetzlich weh, aber es war nichts, was ihn beunruhigte. Er war es gewohnt, Schmerz an den Rand seines Bewusstseins zu drängen. Was ihn schockierte, war vollständig
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