Enwor 11 - Das elfte Buch
Gesicht blieb starr, aber Skar spürte, wie die Anspannung in seinem Inneren wuchs. »Das du solltest wissen«, sagte er.
»Ich weiß es aber nicht«, begehrte Skar auf. »Verdammt!« Er keuchte, um der Schmerzwelle in seinem Inneren Zeit zu lassen sich abzubauen, und fuhr dann fort: »Ihr taucht aus dem Nichts auf — kurz bevor diese lebendige Falle zuschnappt…«
»Eine Falle: Ja«, unterbrach ihn Kama. »Wir dich nicht hätten hierher geschickt, wäre es anders gewesen. Wir dachten, die Larvanda sei sicher.«
»Larvanda!«
Die Augen des Mannes wurden zu schmalen Schlitzen.
»Das, was du Höhle in der Höhle nennen würdest, Satai«, erklärte der Mann. »Aber warum du das nicht wissen? Das alles stehen im Elften Buch.«
»Ich kenne dieses blöde Buch nicht«, sagte Skar unwirsch. »Du hättest es lesen sollen«, sagte Kama vorwurfsvoll.
»Du hättest es lesen
müssen!«
»Wie denn?«, fragte Skar. Er erinnerte sich an Marna, den Satai mit der Goldmaske, der hinter diesem Buch her gewesen war und zu Esannas mittlerweile totem Vater Roun gesagt hatte:
Wenn ihr das Buch gefunden habt, dann gebt es Skar mit.
Der Nahrak wirkte ehrlich verwirrt. »Aber du haben das Buch doch an dich genommen und versteckt«, sagte er. »Oben am Wasserfall.«
Skar schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er. »Das habe ich nicht.« Hätte er damals geahnt, dass das Elfte Buch so wichtig für ihn werden würde, hätte er ihm mehr Beachtung geschenkt — und sich weniger Sorgen um Gor, den Quorrl-Kriegsherrn gemacht, dessen Leben er geschont hatte.
Kama starrte ihn so bestürzt an, als ob Skar Anstalten gemacht hätte sich mit gezogenem Schwert auf ihn zu stürzen. »Du… du brauchst doch das Buch«, keuchte er. »Wie sonst… willst du…«
»Will ich was?«, fragte Skar, als der Nahrak nicht weitersprach.
Kama antwortete nicht gleich. Sein Gesicht glich einer unbeweglichen Maske — bis auf sein rechtes Augenlid, das plötzlich zu zittern begann. »Das haben wir nicht gewusst«, sagte er. »Das ist…«
»Ja?«
Kama schüttelte den Kopf. Ganz offensichtlich kämpfte er um sein inneres Gleichgewicht. »Es ist sehr mächtig geworden, in den letzten Jahren«, sagte er. »Das ändern alles. Aber vielleicht… ist es noch nicht zu spät.«
»Zu spät für was?«, fragte Skar. Es fiel ihm immer schwerer, der Erregung Herr zu werden, die ihn angesichts der Gesprächswendung ergriffen hatte. In ihm war ein unüberhörbares Locken und Wispern, etwas, das sich über den Rand der Bewusstlosigkeit hinübergerettet hatte in die Wirklichkeit, als riefe etwas sehr Fremdes und gleichzeitig sehr Vertrautes nach ihm — und als wüsste dieses Etwas sehr genau, wovon Kama gesprochen hatte.
Der Nahrak machte eine wegwischende Bewegung. Seine Augen starrten blicklos durch Skar und im ersten Moment glaubte er, dass er ein verdächtiges Geräusch gehört hatte, das auf einen bevorstehenden Angriff hindeutete. Doch dann begriff er, dass er sich getäuscht hatte. Es war eher so… als würde Kama nach
Innen
lauschen, tief in sich hinein, als suche er dort die Antwort auf die drängenden Fragen nach der für ihn unvorhersehbaren Wendung.
Es dauerte noch eine Weile, die Skar wie eine Ewigkeit vorkam, bevor der Nahrak wieder aus seiner Erstarrung erwachte. »Wenn du nicht gelesen hast, ich müssen dir einiges erklären«, sagte er so langsam, als bereite ihm das Sprechen Schwierigkeiten. »Aber das nichts ändern daran, dass du das Buch brauchst.«
»Wozu?«
»Um zu erfahren, wer in Wirklichkeit dein Feind ist.«
Skar fuhr überrascht zu Esanna um, denn es war nicht der Nahrak gewesen, der diese Worte gesprochen hatte, sondern das Mädchen. Er hatte noch nie zuvor einen so gleichzeitig erschrockenen wie verwirrten Ausdruck auf ihren Zügen gesehen.
»Was meinst du damit?«, fragte Skar scharf.
»Das… das liegt doch auf der Hand, oder?« Esanna schlang noch fester als bislang die Arme um die Knie. »Ich hab es… mir nur so… gedacht.«
Einen Moment lang herrschte fast atemloses Schweigen. Obwohl der Nahrak es vermied, in Richtung des Mädchens zu blicken, hatte Skar das Gefühl, als ob ein unsichtbares Band zwischen den beiden so ungleichen Menschen bestand. Aber das war natürlich Blödsinn. Ein Nahrak und ein Digger-Mädchen? Unter normalen Umständen wären sie sich auf Enwor niemals begegnet und es stand außer Frage, dass sie sich vor der Begegnung in der Höhle noch nie gesehen hatten.
Es war der Nahrak, der das Schweigen
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