Enwor 2 - Die brennende Stadt
Stärkste.«
Sie brach ab, starrte an Skar vorbei zu Boden und fuhr mit einer abgehackten Bewegung herum. »Und jetzt komm! Wir müssen weiter. Ich weiß nicht, ob wir hier sicher sind, und ich möchte es auch nicht ausprobieren.«
»Moment.« Skar wollte nach ihrer Schulter greifen, aber Gowenna entwand sich ihm mit einer raschen Bewegung.
»Ich erkläre dir alles«, sagte sie bestimmt. »Doch nicht jetzt. Ich verstehe deine Besorgnis, aber glaube mir, du hast eher etwas gewonnen als verloren.«
Skar starrte sie wütend an, verzichtete jedoch auf die scharfen Worte, die ihm auf der Zunge lagen. »Muster«, knurrte er.
Gowenna deutete auf die Rückwand der Kammer. Auch dort befand sich, wie auf der gegenüberliegenden Seite, ein runder, vielleicht anderthalb Meter breiter Durchgang. Dahinter schimmerte Licht; der schwache, gelbliche Glanz von Kerzen, der erst bei genauem Hinsehen zu erkennen war.
»Wir können nicht mehr weit von unserem Ziel entfernt sein«, sagte sie. »Kommt jetzt.«
Arsan und Gerrion setzten sich gehorsam in Bewegung, aber die beiden El-tras blieben, anders als sonst, reglos stehen, als hätten sie Gowennas Worte überhaupt nicht vernommen.
»Sie bleiben zurück«, erklärte Gowenna auf Skars fragenden Blick. »Sie sind noch zu geschwächt, um uns zu begleiten.«
Skar folgte ihr ohne ein weiteres Wort. Er hatte immer den Wunsch verspürt, mehr über Sumpfmänner zu wissen, aber er war sich plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob er nicht schon zuviel erfahren hatte. Es gab Geheimnisse, die an Schrecken gewannen, wenn man sie lüftete.
Hinter dem Durchgang wartete ein weiterer, finsterer Stollen auf sie. Der schwache Glanz an seinem Ende gewann aber allmählich an Leuchtkraft.
»Dort vorne ist es«, sagte Gowenna. Ihre Stimme zitterte hörbar. Skar bemühte sich, Einzelheiten zu erkennen, aber er sah nichts außer formlosen Umrissen und gelbem, flackerndem Licht. Gowenna schien wesentlich schärfere Augen zu haben als er.
Sie gingen schneller. Der Gang endete vor einer kurzen, nur aus drei Stufen bestehenden Treppe, an deren oberen Ende eine weitere runde Tür lag. Gowenna zögerte einen Moment, atmete hörbar ein und trat mit einem entschlossenen Schritt hindurch. ;
Skar wartete, bis auch Arsan und Gerrion unter dem Türbogen j verschwanden. Er drehte sich noch einmal um, starrte in die schat- j tenerfüllte Schwärze hinter sich und zog mit einer bedächtigen Bewegung das Schwert aus der Scheide, ehe er ebenfalls die Treppe hinaufging. Nicht, daß er damit rechnete, ernsthaft kämpfen zu müssen; die Waffe diente nur dem Zweck, ihn selbst zu beruhigen, ihm ein — wenn auch trügerisches — Gefühl der Stärke zu geben. Er war nervös, als er in den Altarraum trat, nervöser, als er selbst zuzu-
geben bereit war.
Im ersten Moment war er beinahe enttäuscht. Er wußte nicht, was er erwartet hatte, aber es war auf jeden Fall irgend etwas Großartiges, Gewaltiges gewesen.
Als erstes fiel ihm auf, wie klein der Raum war, nicht mehr als zwölf, fünfzehn Schritte im Quadrat, die Decke kaum drei Meter hoch, so daß er sie mit der Schwertspitze hätte berühren können, wenn er den Arm ausgestreckt hätte. Es gab keine Fenster oder andere Öffnungen als die, durch die sie gekommen waren. An den Wänden brannten Fackeln mit ruhiger, rußloser Flamme. Und vor ihnen, kaum eine Armlänge von Gowenna entfernt, stand der Altar. Skar ließ verblüfft die Waffe sinken, trat mit einem raschen Schritt neben Gowenna und blieb stehen, als sie hastig die Hand hob. Nach all der Größe und Gewaltigkeit, die sie auf ihrem Weg hier herauf gesehen hatten, wirkte der Altar bescheiden, nicht wie ein Monument der Macht wie die Stadt, die ihn umgab, sondern wie ein funkelndes Juwel, verborgen und in sich gekehrt ähnlich einer Orchidee, die inmitten eines Unkrautfeldes blüht. Er bestand aus einem schwarzen, kaum fußhohen Sockel, aus dessen Zentrum zwei übergroße, aus glitzerndem Kristall geschnitzte Arme emporwuchsen. Ihre Hände, die sich an den Ballen berührten, als müßten sie sich gegenseitig stützen, trugen eine flache, vielleicht einen Meter durchmessende Schale, die bis dicht unter den Rand mit Wasser gefüllt war. Dahinter hockte ein mächtiger, aus schwarzem Stein gemeißelter Wolf.
Skar starrte die Skulptur an. Er hatte nie zuvor eine so genau und liebevoll ausgeführte Arbeit gesehen. Das Tier war perfekt nachgebildet, bis hinab zum winzigsten Härchen, zur kleinsten Unregelmäßigkeit
Weitere Kostenlose Bücher