Enwor 2 - Die brennende Stadt
siegen, Skar. Sie will deine Niederlage sehen. Und er begriff erst jetzt, wie recht der Kohoner mit seiner Behauptung gehabt hatte. Sie war vor ihm hier gewesen und war gescheitert, und jetzt war er gekommen, ein Mann, der all das symbolisierte, was sie verachtete und bekämpfte, und er hatte getan, wozu sie nicht fähig gewesen war.
Es kostete ihn Mühe, seinen Blick von dem Gowennas zu lösen.
Er preßte die Faust mit dem Stein an sich, ging rasch an ihr vorbei und trat mit gesenktem Kopf durch den Ausgang.
Schweigend gingen sie durch den kurzen Stollen bis in den Vorraum, in dem El-tra auf sie warteten. Die beiden Sumpfmänner hockten nebeneinander auf dem Boden, und ihre Gesichter kamen Skar grauer als sonst vor, obgleich sie unter den tief in die Stirn gezogenen Kapuzen fast unsichtbar waren. Gowenna sagte ein paar Worte in ihrer schnellen, dumpfen Sprache zu ihnen, und eine der beiden Gestalten erhob sich und trat hinaus auf die Treppe.
»Wo hast du ihn hingeschickt?« fragte Skar.
»Er sieht nach, ob der Weg sicher ist«, antwortete Gowenna. »Normalerweise geben sie sich mit einem Opfer zufrieden, aber ich will sichergehen.«
Es dauerte eine Zeit, bis Skar den Sinn ihrer Worte begriff.
»Du ... du willst damit sagen, daß du gewußt hast, daß einer von uns auf dem Weg hier herauf sterben wird?« fragte er stockend. Gowenna drehte sich halb herum und sah ihn an, sagte aber nichts.
»Aber es sollte nicht El-tra sein, nicht?« fuhr Skar fort. »Du hast uns nur mitgenommen, um . ..«
»Nicht euch, Satai«, unterbrach ihn Gowenna ruhig. »Dich brauche ich für den Rückweg.«
»Dann eben Beral, Gerrion oder Nol oder Arsan«, sagte Skar mit mühsam beherrschter Stimme. »Daß El-tra das Opfer war, war nicht beabsichtigt, wie? Das war ein dummer Unfall!«
Er hatte erwartet, daß Gowenna betroffen oder wenigstens verunsichert reagieren würde, aber ihr Gesicht blieb unbewegt wie immer. »Natürlich«, antwortete sie ruhig. »Ihr alle habt doch gewußt, wie gefährlich es ist? Oder hast du dir wirklich eingebildet, daß wir alle lebend zurückkommen?«
Skars Hand krampfte sich um den Schwertgriff, und für einen winzigen Moment kämpfte er ernsthaft gegen den Impuls, die Waffe zu ziehen und sich auf Gowenna zu stürzen. Es waren nicht Gowennas Worte, die ihn so wütend machten, sondern die Art, in der sie sie aussprach, die seelenlose Kälte, mit der sie mit dem Leben von Menschen umsprang.
»Natürlich nicht«, antwortete er leise. Er konnte nur leise reden —oder schreien. »Aber es ist ein Unterschied, im Kampf zu sterben oder geopfert zu werden.«
»Ach?« sagte Gowenna. »Erklär ihn mir.«
Skar ballte wütend die Fäuste. Er fuhr herum und sah zu Arsan hinüber, aber der Kohoner lehnte mit eingefallenem Gesicht und erloschenem Blick an der Wand und schien gar nicht mehr zu registrieren, was um ihn herum vorging.
»Was wirst du eigentlich noch alles tun wegen dieses verdammten Steines?« fragte er.
»Alles«, antwortete Gowenna. »Alles, was ich tun muß und kann.
Er ist wertvoller, als du dir auch nur vorstellen kannst.«
»Aber er rechtfertigt nicht —«
»Sein Besitz rechtfertigt alles«, unterbrach ihn Gowenna. »Was ist ein Menschenleben gegen das von Millionen? Was zählt das Schicksal eines einzelnen gegen das einer ganzen Welt?«
Skar fuhr abermals herum. Gowenna hielt seinem Blick gelassen stand, und was er in ihren Augen las, ließ ihn noch mehr erschrek-ken. Sie glaubte an das, was sie sagte.
»Wir haben schon mehrmals darüber geredet, aber du hast es bisher nicht begriffen, und du wirst es auch in Zukunft nicht begreifen, Satai«, fuhr Gowenna fort. »Es gibt Dinge, die wichtiger sind als Menschenleben, auch wenn das vielleicht deiner albernen Religion widerspricht.«
»Es widerspricht ihr nicht, im Gegenteil. Aber ich ziehe es vor, die Entscheidung darüber denen zu überlassen, deren Leben betroffen ist.«
Gowenna zuckte gleichmütig die Achseln. »Das ist dein Standpunkt, Skar. Ich frage mich nur, warum du hier bist, wenn du wirklich so denkst.«
»Das weißt du genau.«
Gowenna lächelte, aber die starre Maske aus Schmutz und Blut auf ihrem Gesicht ließ eine Grimasse daraus werden. »Ich weiß, warum du nicht hier bist, Skar«, antwortete sie. »Nämlich nicht, weil du dazu gezwungen wurdest. Du wärest der erste Satai, der sich zu etwas zwingen oder gar erpressen ließe. Ich weiß nur noch nicht, warum du uns wirklich begleitest. Aber das spielt auch keine Rolle.
Weitere Kostenlose Bücher