Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Enwor 3 - Das tote Land

Enwor 3 - Das tote Land

Titel: Enwor 3 - Das tote Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
anderen Hand blitzte plötzlich ein schmaler, zweischneidiger Dolch.
    »Ich schwöre dir, daß ich ihm die Kehle durchschneide, wenn du nicht weitergehst«, sagte sie. Ihre Stimme klang plötzlich ganz ruhig, aber es war gerade diese Ruhe, die Skar zeigte, daß ihre Worte keine leere Drohung waren. »Ich tue es, Skar. Er ist ohnehin nur Ballast für uns und wird mehr Schaden als Nutzen bringen.«
    Skar musterte sie eisig. Er war nicht einmal mehr in der Lage, Zorn zu empfinden. »Du hast dich wirklich nicht verändert«, sagte er.
    »Warum auch?« Die Spitze des Dolches ritzte Dels Haut. Ein winziger Blutstropfen erschien auf seinem Hals, leuchtend wie eine rote Träne. »Sein Hiersein ist vielleicht der Preis für deine Begleitung, Skar. Aber ohne dich bringt er keinen Nutzen für uns. Nicht für uns und nicht für unsere Mission. Warum sollten wir uns mit ihm belasten, wenn es dich nicht mehr gibt?«
    Skar ballte in ohnmächtigem Zorn die Fäuste, stand aber trotzdem gehorsam auf und begann weiterzugehen, nicht mehr vor, sondern hinter El-tra jetzt, und mit mühsamen, schleppenden Schritten. Gowenna ließ ihren Dolch wieder unter dem Gewand verschwinden, aber allein die Art, in der sie es tat, sagte Skar, daß sie ihn jederzeit erneut hervorholen und ihre Drohung wahrmachen würde.
    Das klingende Geräusch, das sie die ganze Zeit begleitet hatte, wurde wieder leiser, als sie sich weiter nach Süden bewegten; es blieb jedoch die ganze Zeit in ihrer Nähe wie ein unsichtbares, nur aus Tönen und gespenstischer Musik bestehendes Raubtier, das sie beschlich und auf eine Gelegenheit wartete, über sie herzufallen. Skar wußte nicht, warum es ausgerechnet dieser Vergleich war, der sich ihm aufdrängte, aber er erschien ihm auf schwer zu fassende Art passend. Der Laut hatte etwas Drohendes an sich, obwohl er so klar wie der Kristall des Waldes und hoch war, eher der Gesang von Engeln als der von Dämonen. Und Gowenna schien ebenso zu empfinden. Ihr Blick streifte immer wieder nach rechts und links, tastete unsicher über den Boden und das gewölbte kristallene Dach über ihren Köpfen; sie wirkte ganz wie ein Mensch, der irgend etwas Bestimmtes sucht, voller Ungeduld darauf wartet und gleichzeitig Angst davor hat.
    Ein winziger Lichtfleck löste sich aus den Baumwipfeln, fiel vor Skar auf den Boden und erlosch. Er blieb stehen, bückte sich neugierig und erkannte, daß es ein Bruchstück des Kristalls war; klar und rein wie ein geschliffener Edelstein, nur an einer Seite zerborsten und milchig wie ein uraltes Glas. Aber noch während er hinsah, begann sich die Bruchkante zu glätten.
    »Was ...«
    Gowenna stieß einen halblauten, erschrockenen Ruf aus und deutete nach links.
    Skars Herz schien einen schmerzhaften Sprung zu tun, als er sah, was Gowenna zu ihrem Ausruf veranlaßt hatte. Der Wald war nicht länger tot. Die kristallene Starre war unter einem Wirbel fließender, wogender Bewegung verschwunden; blitzende Kristallspinnen, die auf glatten, beinlosen Körpern geschäftig hin und her huschten und dabei winzige, haardünne Fäden hinter sich herzogen, hier und da Netz und feine, zerbrechliche Gespinste formend, Knoten und große, durchbrochene Platten, die das Licht einfingen und wie eine Million unterschiedlich angeordneter Spiegelscherben zurückwarfen. Das Klingen wurde wieder lauter, und dazwischen hörte Skar ein neues Geräusch: einen Laut, als würde irgendwo ein gewaltiges Stück Pergament von einer noch gewaltigeren Faust ergriffen und langsam, ganz langsam zusammengedrückt.
    »Nein!« keuchte Gowenna. »Das ...« Sie brach ab, stieß einen schrillen, kaum mehr artikulierten Schrei aus und hetzte dann wie von Furien gejagt los. Auch El-tra fuhr mit einem keuchenden Laut herum und stürmte davon. Skar rannte hinter ihnen her, auf der Flucht vor einer Gefahr, die er weder sehen noch begreifen konnte, die er jedoch instinktiv spürte.
    Der Wald bebte. Nicht nur der Boden, jeder einzelne Stamm, jeder Halm und jeder gläserne Dorn schienen zu vibrieren, hohe, einzeln nicht hörbare summende Laute auszustoßen, die in ihrer Gesamtheit wie eine Flutwelle aus Lärm über ihnen zusammenschlugen. Licht blitzte überall auf, und die winzigen Kristallspinnen schienen plötzlich allgegenwärtig — zwischen den Stämmen, im Geäst und im Unterholz, auf dem Boden, ja selbst scheinbar freischwebend in der Luft, Millionen und Abermillionen winziger lebloser Lebewesen, die lautlos hin und her huschten und den Wald in

Weitere Kostenlose Bücher