Enwor 4 - Der steinerne Wolf
zu ihr?«
Skar sah überrascht auf. »Ein bißchen spät für solche Überlegungen, nicht?« fragte er.
»Oh, es ist nicht das, was du denkst«, sagte Legis rasch. »Aber was tust du, wenn Vela nicht hier ist? Wenn die Margoi selbst auf dem Thron sitzt und Vela ihre Fäden im verborgenen zieht?«
Auch Skar hatte schon daran gedacht, aber er wußte, daß es nicht so sein würde. Trotz allem blieb Vela berechenbar — sie wollte Macht, und sie würde sich nicht damit begnügen, wie ein Schatten im Hintergrund zu bleiben und ihre Intrigen zu spinnen.
Er wußte, daß er Vela entweder auf dem Stuhl der Ehrwürdigen Mutter oder überhaupt nicht finden würde. »Gehen wir«, sagte er, ohne auf Legis' Frage zu antworten.
Sie verließen den Keller. Legis führte ihn durch ein verwirrendes Labyrinth asymmetrischer Stollen und schräger, in unmöglichen Winkeln aufsteigender Treppen; Räume, die dem Blick Schmerzen bereiteten, und Kammern, deren Wände in grauem Nichterkennen verschwammen. Einmal überquerten sie einen Hof, ein schmales, lichtdurchflutetes Zehn- oder Zwölfeck, dessen Boden auf bizarre Weise zu leben schien; und ein paarmal gebot ihm Legis mit hastigen Gesten, in einen Schatten zu huschen und zu schweigen, obwohl er keinen Laut gehört oder ein Zeichen von Leben gesehen hatte. Es war ein gespenstischer Weg. Skar spürte das fremde Leben, die Gegenwart von etwas unsagbar Fremdem, Feindseligem, das sich wie Modergeruch in den schwarzen Wänden eingenistet hatte. Sie waren länger als eine Stunde unterwegs, ohne auf einen einzigen Menschen zu treffen. Schließlich blieb Legis erneut stehen. »Wir sind da«, raunte sie. Skar sah sich neugierig um. Sie waren eine Treppe emporgestiegen und standen in einer winzigen, fensterlosen Kammer. In der gegenüberliegenden Wand war eine Tür.
»Die Kammer der Margoi liegt hinter jener Tür«, flüsterte Legis.
Skar runzelte die Stirn. Das alarmierende Gefühl in seinem Inneren wurde stärker. Es war zu leicht gewesen. Aber wenn es eine Falle war, dann waren sie längst hineingetappt.
»Gut«, raunte er. »Du bleibst hier. Wenn du Lärm hörst oder ich nicht zurückkomme, dann fliehst du.«
Legis schüttelte den Kopf. »Ich begleite dich«, erwiderte sie leise. »Ich will sie sehen.«
»Sei vernünftig«:, seufzte Skar. »Ich habe kaum eine Chance, lebend hier herauszukommen. Warum willst du dich ...«
»Wenn du versagst, Skar«, fiel ihm Legis wispernd ins Wort, »dann hat keiner von uns eine Chance, noch lange zu leben. Und wenn sie wirklich so gefährlich ist, wie du glaubst, dann kannst du jede Hilfe gebrauchen, die sich dir bietet.«
Legis' Worte klangen logisch, und Skar widersprach nicht mehr. Es war auch nicht der wahre Grund, warum er allein gehen wollte. Es waren zu viele gestorben, zu viele Unschuldige umgebracht worden, als daß es jetzt noch auf ein Leben mehr oder weniger angekommen wäre. Aber dies hier war
sein
Kampf. Trotzdem ging er mit einem wortlosen Nicken an Legis vorbei, streckte die Hand nach dem Riege! aus und legte das Ohr an die Tür.
Alles, was er hörte, war das hämmernde Geräusch seines eigenen Herzens. Das Holz war wohl zu dick, um irgendwelche Laute durchzulassen. Er warf Legis einen warnenden Blick zu und schob den Riegel zur Seite. Die Tür schwang lautlos nach innen.
Skar blinzelte. Vor ihnen lag ein gewaltiger, domähnlicher Raum mit gewölbter Decke und schwarzem, spiegelndem Boden. Die Wände waren mit Teppichen und Tüchern verhängt worden, wohl um einen einigermaßen wohnlichen Eindruck zu vermitteln und die fremde Architektur der Stadt zu verbergen.
Ein Gefühl dumpfer Erregung ergriff von Skar Besitz. Er schob die Tür noch weiter auf, schlüpfte hindurch und duckte sich in einen Schatten. Legis huschte lautlos hinterher und kniete neben ihm nieder. Ihre Hand wies zur gegenüberliegenden Seite.
Der Raum war beinahe leer. Es gab einen Tisch — eine gewaltige, zwanzig Meter lange Tafel aus schwarzem Stein —, zwei oder drei Dutzend Stühle, die sich um den Tisch herum gruppierten, und ein schmales Bett hinter einem halb durchsichtigen Vorhang in einer Nische.
Und einen Thron. Ein Gefühl eisiger Kälte durchströmte Skar beim Anblick des Möbelstückes. Ein Monstrum von Thron, passend zu diesem Monstrum von Stadt. Ein gewaltiges schwarzes Ding, halb verborgen im Schatten und auf bizarre Weise lebend, lauernd wie ein Raubtier.
Der Thron war nicht leer. Skar konnte nur einen dunklen Umriß erkennen; der Schatten
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