Enwor 4 - Der steinerne Wolf
einer Frau, schlank, reglos; das Gesicht war unter einer tief in die Stirn gezogenen Kapuze verborgen. Aber Skar spürte, daß sie ihn ansah.
»Tritt näher, Skar«, sagte Vela ruhig.
Legis zuckte wie unter einem Hieb zusammen. Ihre Hand fuhr unter ihren Umhang und erstarrte, als Skar sie warnend ansah.
Die Gestalt auf dem Thron lachte leise. »Laß den Scanner dort, wo er ist, du kleine Närrin«, sagte sie. »Ich glaube nicht, daß du ihn schnell genug ziehen könntest. Aber wenn du es versuchen willst...« Velas Schatten bewegte sich. In ihrer Hand glitzerte etwas Kleines, Silbernes. Legis erstarrte.
»Ihr habt lange gebraucht«, fuhr Vela fort. »Ich habe schon vor Stunden mit euch gerechnet. Aber auf alte Freunde wartet man gerne.« Sie stand auf, kam mit gemessenen Schritten die Stufen des Thrones herunter und blieb hinter dem Tisch stehen. »Kommt näher. Es redet sich nicht gut auf so große Entfernung.«
Skar richtete sich ganz langsam auf. Seine Hand lag am Gürtel, nur wenige Zentimeter vom Griff des
Tschekal
entfernt. Aber er würde es nicht ziehen können.
Langsam, wie betäubt, näherte er sich dem Thron. Er wußte jetzt, warum es so leicht gewesen war. Sie hatte es gewußt. Vielleicht hatte sie ihnen sogar den Weg geebnet, Hindernisse beseitigt, an denen sie niemals vorbeigekommen wären. Sein Blick suchte den Velas, aber unter der Kapuze waren nur dunkle Schatten. Das Silberding in ihrer Hand glitzerte boshaft. Skar hatte die Waffe schon einmal bei ihr gesehen und von ihrer furchtbaren Wirkung gehört. Eine Waffe der Alten. Ein Ding, das Blitze schleuderte und Menschen in Sekunden zu Asche verbrennen konnte.
»Tu es nicht«, sagte Vela. »Ich weiß, wie schnell du bist. Vielleicht könntest du dein Schwert schleudern und mich töten, aber du würdest es nicht mehr erleben. Und du wüßtest deshalb nicht, ob du mich wirklich getötet oder nur verwundet hättest.«
Skar spürte wieder den alten Haß in sich aufsteigen, heißer und brennender als jemals zuvor. Er stand der Frau gegenüber, die sein Leben zerstört hatte, die seine Freunde getötet und sein Vertrauen ausgenutzt hatte, die schuld daran war, daß Del gestorben war.
Und er war hilflos.
Vela trat einen halben Schritt zurück, nahm die Kapuze herunter und kam um den Tisch herum. Ihre Bewegungen wirkten schwerfällig und müde, als müsse sie sich zu jedem Schritt zwingen, und ihre Gestalt war längst nicht mehr so schlank und jugendlich, wie er sie in Erinnerung hatte. Sie war ...
Legis stieß ein ungläubiges Keuchen aus. »Laynanya!«
Vela kam näher. Ein triumphierendes Lächeln huschte über ihre Züge. Ihre linke Hand lag in einer unbewußten, schützenden Haltung auf ihrem Leib.
»Du Hexe!« keuchte Legis. »Du warst die ganze Zeit draußen bei uns. Du hast —«
»Du magst eine gute
Errish
sein, Kindchen«, fiel Vela ihr spöt-
tisch ins Wort, »aber von Politik verstehst du leider nur sehr wenig. Das erste, was ich getan habe, war, eure lächerliche Rebellenarmee ins Leben zu rufen. Ich muß mich noch bedanken für deine Hilfe. Du warst —«
Aber Legis hörte schon nicht mehr zu. Sie schrie auf, duckte sich und riß die Hand unter dem Mantel hervor. In ihren Fingern glitzerte ein klobiges silbernes Etwas.
Skar warf sich instinktiv zur Seite und schloß die Augen. Ein weißes, helles,
unerträglich
helles Licht fraß sich durch seine zusammengepreßten Lider, hüllte Legis ein und verwandelte sie in eine brüllende Fackel. Skar stürzte, schrie vor Schmerz und Haß und schleuderte sein
Tschekal.
Die Waffe flog in einer geraden, blitzschnellen Bahn auf die
Errish
zu.
Aber sie erreichte ihr Ziel nicht. Eine Handbreit vor Velas Brust prallte sie gegen ein unsichtbares Hindernis, flog, wie von einem Hieb getroffen, zur Seite und landete klirrend auf dem Boden.
Die schlanke Klinge aus Sternenstahl glühte.
»Du Narr«, sagte Vela. Ihre Stimme klang hart. »Du enttäuschst mich, Skar. Nach allem, was du geleistet hast, um hierherzukommen, hätte ich mehr Verstand von dir erwartet. Hast du wirklich geglaubt, daß ich mich nicht zu schützen weiß?« Sie steckte ihre Waffe ein, straffe sich und klatschte in die Hände. Hinter dem Thron traten zwei gewaltige schwarze Gestalten hervor, knöcherne Männer mit reißenden Stacheln an Schulter- und Kniegelenken, mit toten Gesichtern und mit Händen, die nichts anderes waren als mörderische Klauen. Tuan-Krieger.
»Packt ihn«, sagte Vela hart. »Aber behandelt ihn gut! Ich
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