Enwor 4 - Der steinerne Wolf
von Gründen — und zwei davon heißen Gowenna und Del. Sie sind dort unten, sie und ihre Verbündeten.« Ihre Stimme wurde hart. »Die Herren von Cosh hätten bleiben sollen, wo sie waren, Skar. Niemand hat sie gezwungen, ein Heer aufzustellen und mit Gowenna hierherzuziehen. Sie hat diesen Kampf gewollt, und sie wird ihn bekommen.«
»Es ist kein Kampf«, sagte Skar. »Es ist Mord. Sie sind schon jetzt halb erfroren — glaubst du, sie hätten eine Chance gegen deine Drachen und diese« — er wies auf die schwarzen Hornkrieger und verzog abfällig das Gesicht — »diese
Kreaturen?«
»Natürlich nicht«, antwortete Vela ruhig. »Hätten sie sie, wäre ich nicht hier, Skar. Aber ich glaube, du hast noch immer nicht begriffen,
warum
wir hier sind, du und ich. Du willst diese Schlacht nicht? Ein Wort von dir genügt, und wir ziehen uns zurück. Du weißt, welches.«
Skar starrte sie an. Seine Hände zuckten.
»Dort unten sind mehr als zweitausend Krieger«, fuhr Vela fort. »Menschen, Quorrl, Sumpfleute — und ein paar deiner Freunde. Ihr Leben liegt in deiner Hand. Entscheide dich. Ein Wort von dir, und wir rücken ab. Der Thron von Elay wartet noch auf dich. Du kannst herrschen, Skar. Du wirst mehr Macht in Händen halten als jemals ein Mann vor dir.«
»Hör auf«, flüsterte er.
»Aufhören?« Vela sog geräuschvoll die Luft ein. »Du verkennst deine Lage, Satai«, sagte sie. »Du hast nichts zu fordern, und du bist nicht in der Situation, mir Vorwürfe zu machen. Wenn es zur Schlacht kommt, dann ist es deine Schlacht, Skar. Die Schuld am Tod dieser Männer dort unten wirst
du
tragen.
Du
allein, nicht ich!«
»Das ist nicht wahr«, stöhnte Skar. »Du —«
»Du hast mich böse gemacht«, fiel ihm Vela ins Wort. »Vielleicht bin ich es — in deinen Augen. Aber ich gebe dir die Möglichkeit, dieses Morden zu verhindern, Skar. Ich weiß, wie hoch dir der Preis dafür vorkommen muß, aber wenn du wirklich der Mann bist, der du zu sein vorgibst, dann bezahle ihn. Ich verlange nichts als dein Wort, bei mir zu bleiben und deine Feindschaft zu vergessen. Keine Hilfe. Was zu tun ist, werde ich tun.«
»Ich brauche nur stillzuhalten, nicht?« fragte Skar mühsam.
»Du verlangst nichts von mir, als daß ich zusehe, wie du diese Welt vernichtest.«
»Unsinn. Ich glaube, du überschätzt uns beide, Skar. Wir können diese Welt weder vernichten noch retten. Aber dein Sohn wird es können. Wäre dir nicht wohler, wenn du dabeisein und ihn lenken könntest? Wenn ich so abgrundtief schlecht bin, wie du mich siehst, kannst du es dann verantworten, die Erziehung dieses Kindes allein in meine Hände zu legen?«
Skar schwieg. Vela starrte ihn noch eine Weile an, nickte dann und straffte die Schultern. »Wie du willst, Skar.« Sie hob die rechte Hand mit dem Stein, schloß die Augen und murmelte lautlose Worte. Skar vermeinte ein leises Knistern zu hören, ein Geräusch wie von fernen Blitzen, und die Luft roch plötzlich wie nach einem Gewitter. Der Stein begann in ihrer Hand zu glühen in einem kalten, unerträglich gleißenden Licht. Eine knöcherne Hand legte sich von hinten auf Skars Schulter und hielt ihn fest.
Ein unwirkliches blaues Licht begann sich über dem Tal auszubreiten. Es sah aus, als glühten die wirbelnden Schneewolken, und die Männer und Quorrl dahinter waren nicht mehr als Motten, die dem Licht zu nahe gekommen waren und verbrannten. Ihre Bewegungen wirkten plötzlich abgehackt und hastig. Dann riß die kochende Wand auf mit beinahe schmerzhafter Plötzlichkeit. Der letzte Schnee sank zu Boden, und das Tal lag als weißer, von un-
bestimmbarer Bewegung erfüllter Abgrund vor ihnen.
»Du hast recht, Skar«, sagte Vela spöttisch. »Es war unfair. Ich werde ihnen zumindest Gelegenheit geben, sich zur Schlacht zu formieren.«
Skar ballte in hilflosem Zorn die Fäuste. >Ein Wort von dir<, hallten Velas Worte hinter seiner Stirn nach. Ein einziges Zeichen von ihm, und dieses sinnlose Morden würde nicht stattfinden. »Nun?« fragte Vela. In ihrer Stimme war jetzt eine winzige, aber hörbare Spur von Ungeduld. »Hast du dich entschieden?«
Er konnte sich nicht entscheiden. Niemand konnte eine solche Entscheidung von irgend jemandem verlangen.
Vela wartete. Ihr Gesicht war zu einer reglosen Maske erstarrt, und als er sie ansah, glaubte er für einen winzigen Moment hinter ihren Zügen etwas anderes zu erkennen, das Antlitz von etwas unsagbar Fremdem, Uraltem. Sie war nicht mehr sie selbst.
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