Enwor 4 - Der steinerne Wolf
heraufbeschworen und zu unseligem Leben erweckt hatte. Und hinter ihnen, wie eine Mauer aus Fleisch und vibrierender Kraft, die Drachen.
Skar zählte vier Dutzend der gewaltigen Panzerechsen, eine so groß und wild wie die andere. Eine lebende Walze aus Wut und explosiver Aggressivität, die keine Gewalt dieser Welt würde aufhalten können. Vela hatte recht, dachte er dumpf. Auch ohne die zusätzliche Macht, die ihr Combats Stein verlieh, wäre ein Angriff auf diese Stadt Wahnsinn. Gowennas Vorhaben war ein Akt der Verzweiflung, nicht mehr als ein vielleicht heroisches, aber vollkommen nutzloses Symbol.
Sein Blick wandte sich nach Süden. Die Sonne stand im Zenit und tauchte das Land in goldenes Licht und trügerischen Frieden. Zwischen den grauen Felsen vor dem Tor zeigte sich das erste zaghafte Grün des Frühlings, Gras, das Monate zu früh aus der Erde brach, genarrt von der Magie eines Volkes, das über diesen Boden gewandelt war, als es so etwas wie Menschen noch nicht gab; als die Welt voller Düsternis und schwarzer Spinnweben gewesen war, voller Gewalt und einer Art von Leben, das diesen Namen vielleicht nicht einmal verdiente.
Skar versuchte sich vorzustellen, wie die Welt aussehen würde, wenn Velas Schreckensherrschaft sich weiter ausbreitete. Die Zeit der Alten würde wiederkommen, aber Vela irrte sich, wenn sie glaubte, ihre Gewalten zum Guten wenden zu können. Trotz allem glaubte sie wohl noch immer an dieses Ziel, sonst hätte sie niemals die Kraft aufgebracht, das zu tun, was sie getan hatte. Aber sie irrte sich. So wie sie ihn zum Werkzeug gemacht hatte, war auch sie nur noch der Handlanger eines Geistes, der aus einem äonenlangen Schlaf erwacht war und daranging, sich die Welt untenan zu machen.
Skar wunderte sich, woher diese Gedanken kamen. Es war, als wäre er plötzlich aufgewacht, und seine Überlegungen liefen mit einer seltenen Schärfe ab, bedienten sich eines Wissens, das plötzlich in ihm war, als wären in seinem Bewußtsein unvermittelt Türen zu einem Bereich geöffnet worden, von dem er nicht einmal gewußt hatte, daß es ihn gab. Irgend etwas war mit ihm geschehen, während er in Velas Kerker gewesen war.
Aber auch dieses Rätsel löste sich mit dem gleichen selbstverständlichen Wissen, das plötzlich aus dem Nirgendwo über ihn gekommen war. Es war das Wissen seines Dunklen Bruders, das Erbe, das er in sich trug und dessen sich Vela bedienen wollte, um ihre Macht zu festigen. Sie hatte die Wahrheit gesagt, damals in Tuan. Etwas vom Geist der Alten war in ihm, und ein winziges bißchen von diesem Etwas war jetzt an die Oberfläche gekommen. Er sah die Welt in einer blitzartigen, grauenhaften Vision vor sich, so wie sie sein würde: eine Welt ohne Menschen, auch ohne Drachen und
Errish
und Quorrl, ein Planet, der nichts mehr mit Enwor gemein hatte als einen Namen und vielleicht nicht einmal mehr das. Er sah schwarze, wie geschmolzenes Pech glänzende Fäden aus dem Boden kriechen, vibrierende Nervenstränge eines gewaltigen, auf Milliarden und Abermilliarden einzelner Körper verteilten Wesens, sah eine Armee stachelbewehrter Hornkrieger über das Land marschieren und Jagd auf die letzten Menschen machen, sah den Himmel schwarz werden und bizarre Städte und formlose, unbeschreibliche Dinge sich über das Land ausbreiten. Vielleicht würde das Meer bleiben; es war groß. Groß und geduldig genug, selbst diesem Gegner zu trotzen. Aber nicht einmal das war sicher.
Vela irrte sich. Sie glaubte das Böse überlisten, sich seiner Kräfe bedienen zu können, um die Zukunft dieser Welt zu verändern.
Aber er wußte auch, daß es sinnlos war, noch einmal mit ihr zu reden. Das Ding in ihr war schon zu stark. Vielleicht würde es nicht einmal mehr etwas ändern, wenn sie die Schlacht verlor, und vielleicht war ihr Körper schon nur noch eine leere Hülle, die nicht mehr gebraucht wurde.
Die beiden Hornkrieger führten ihn an der Front der schwarzen Reiter vorbei zu einer großen, an eine Sänfte erinnernde Konstruktion, die zwischen zwei der Drachen aufgehängt worden war. Eine schmale Strickleiter führte zu ihr hinauf. Die Krieger ließen Skars Arme los, und einer von ihnen bedeutete ihm mit einer befehlenden Geste hinaufzusteigen. Skar zögerte einen Moment, ehe er gehorchte. Er brauchte keine Erklärungen, um zu wissen, daß Vela in dieser Sänfte reisen würde. Es war ein Marsch von drei Tagen bis zur unterirdischen Festung der Rebellen; auch im Sattel eines Drachen eine zu
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