Enwor 4 - Der steinerne Wolf
Felsen heraus betrachtet, war ihm der Schatten des Seglers absolut schwarz und lichtlos erschienen, aber mit jeder Sekunde, die er länger hier hockte, gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit, nahm er mehr von seiner Umgebung wahr, sah er Schattierungen und Einzelheiten und tausend Nuancen von Schwarz und Grau, und eine lautlose, böse Stimme hinter seinen Gedanken begann ihm zuzuflüstern, daß es seinen Gegnern ebenso ergehen mußte, daß sie Zeit genug gehabt hatten, sich an die schlechten Lichtverhältnisse zu gewöhnen, daß sie ihn
sehen
mußten, so deutlich, als säße er im Zentrum einer gewaltigen Zielscheibe.
Natürlich war das Unsinn. Er war sicher, und der schwarze Umhang gab ihm zusätzliche Deckung. Aber die Stimme in seinem Inneren und seine Furcht scherten sich nicht viel um die Logik, mit der er sie bekämpfen wollte, und seine Unruhe stieg weiter.
Er stand auf, drehte sich einmal um seine Achse und ging langsam auf den Rand des Schattens zu. Der Lastensegler bewegte sich, nur leicht, aber immerhin so viel, daß die zerfaserte schwarze Linie, die das Nebelgrau der Nacht begrenzte, langsam vor und zurück wanderte, und das Knarren, mit dem sich der Rumpf an der steinernen Mauer rieb, erschien ihm für einen Moment wie ein schweres, mühsames Atemholen.
Skar blieb stehen, schloß für einen Moment die Augen und ballte die Fäuste so heftig, daß seine Fingerknöchel knackten. Was geschah mit ihm? Er hatte Angst —
diese
Art von Angst — niemals gekannt. Er war Satai. Ein Kämpfer. Ein Mann, der zum Kämpfen und Überleben geschaffen war, der gelernt hatte, seine Gefühle nach Bedarf ein- und auszuschalten. Und jetzt kämpfe er. Aber die Ruhe, das scharfe, von keinen Emotionen beeinträchtigte Denken des Jägers, seine beste und machtvollste Waffe, waren verschwunden. Er hatte Angst. Nicht die Art von Angst, die zum Überleben ebenso notwendig war wie ein gutes Auge und sichere Reaktionen, sondern blanke, nackte Furcht, die Angst des gehetzten Tieres, Angst, die blind und unvorsichtig machte und zu Fehlern verleitete.
Was geht mit mir vor?
dachte er erschrocken. Er begann sich zu verändern, rasch, schmerzhaft und unaufhaltsam. Die Worte, die er Andred gegenüber gebraucht hatte, fielen ihm wieder ein, und ein eisiger Schrecken zuckte durch seine Brust, als er begriff,
wie
wahr sie gewesen waren.
Ich bin kein Satai mehr,
hatte er gesagt. Und es war wahr. Er hatte seine Kleider, seine Waffen und seine Erinnerungen wieder an sich genommen, aber etwas, irgend etwas, war zurückgeblieben, auf dem brennenden Schiff, in Endor oder vielleicht schon in der verfallenen Festung am Rande des Schattengebirges. Nicht seine Stärke. Nicht seine Reaktionen und all die unzähligen fairen und schmutzigen Tricks, die er gelernt hatte. Dies alles war noch da, irgendwo in ihm, abrufbereit, und er wußte, daß er es haben würde, wenn er es brauchte. Nur dieses Wort, dieses kleine, harmlose Wort
Satai,
von dem jeder, der nicht selbst zur Kaste gehörte, glaubte, daß es nicht mehr als
Krieger
bedeutete und das doch in Wirklichkeit Religion, Lebensanschauung, Philosophie und noch viel, viel mehr war, dieses Wort war nicht mehr da.
Es ging schnell, so fürchtbar, grausam schnell. Ein Lidzucken, die Zeit, die ein Pfeil benötigt, um von der Sehne zu schnellen und sein Ziel zu treffen. Und plötzlich war er kein Satai mehr, sondern nur noch das, was Gowenna von Anfang an in ihm gesehen hatte —ein gedungener Killer, ein Mann, der das Töten zum Beruf gemacht hatte. Der ...
Skar stöhnte. Seine Gedanken begannen einen wilden Tanz aufzuführen, ihm zu entgleiten, sich zu verwirren. Er kämpfe dagegen an, drängte sie zurück und grub die Fingernägel in seine Handflächen, um den Schmerz als Waffe dagegenzusetzen.
Aber es wurde nicht besser. Seine Gedanken klärten sich, aber die Furcht blieb, bohrend, nagend, ein gestaltloser, schwarzer Schrecken, der ihn von jetzt an auf Schritt und Tritt begleiten würde. Skar war beinahe froh, als sich das Geräusch von Schritten in das Klatschen der Wellen mischte und die Nacht zwei Gestalten ausspie.
Es waren Thbarg; zwei von Gondereds Kriegern — schlank, hochgewachsen und in knöchellange blaue Mäntel gehüllt. Sie redeten miteinander, leise und in einer Sprache, die Skar nicht verstand, blieben einen Moment stehen und kamen dann näher, langsam und mit den unentschlossenen Bewegungen von Männern, die kein bestimmtes Ziel hatten. Skar wich einen halben Schritt
Weitere Kostenlose Bücher