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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zurück, schob die Hand unter den Mantel und zog zwei der winzigen
Shuriken
aus dem Gürtel. Das Metall fühlte sich eisig an.
    Ein wenig von der Kälte des Hafenwassers war noch in ihm, und seine rasiermesserscharfen Kanten hinterließen dünne, blutige Linien auf Skars Fingern. Er wich noch ein Stück zurück, hob die Arme — langsam, um sich nicht durch eine unbedachte Bewegung oder das Rascheln von Stoff zu verraten — und drehte die fünfzakkigen Metallsterne, bis sie die richtige Position hatten: ein wenig schräg und nach vorn geneigt, zwischen Daumen, Zeigefinger und dem ersten Gelenk des Mittelfingers ruhend. Jede Bewegung, jede winzige Geste kam ihm mit seltener Klarheit zu Bewußtsein. Es war Mord.
    Skar erschrak. Das waren nicht seine Gedanken.
    Aber es ist so,
fuhr die Stimme fort.
Du mußt sie nicht töten. Sie kommen hierher, direkt auf dich zu, und sie wissen nicht, daß du auf sie wartest. Wenn du nicht gelernt hast, einen Mann zu betäuben, ehe er schreien kann, was dann?
    Er erstarrte, ließ die Hände ein wenig sinken und hob sie dann wieder mit einer schnellen, fast wütenden Bewegung. Die Spitzen der
Shuriken
schrien nach Blut.
    Wenn du es tust, dann bist du nicht besser als sie,
fuhr die Stimme fort. Seine Hände begannen zu zittern.
    Was ist das? dachte Skar. War das der Skar, der er gewesen war, bevor er Vela traf? War er sich selbst schon so fremd geworden, daß er ihn nicht wiedererkannte? War es die Stimme des Satai, die in ihm flüsterte? Oder wurde er — auch dieser Gedanke kam ihm nicht zum ersten Mal — schlicht und einfach verrückt?
    Die beiden Thbarg kamen näher, blieben wieder stehen und gingen weiter, die Hände nachlässig auf die Waffen gelegt. Skar verlängerte die imaginäre Linie, der sie folgten, in Gedanken. Sie würden den Schatten nicht betreten, sondern dicht an seiner Grenze entlang zum Ende des Kais gehen, dort wahrscheinlichkehrtmachen und zurückgehen. Er konnte stehenbleiben und einfach warten, und sie würden nicht einmal wissen, wie knapp sie dem Tode entronnen waren.
    Dann tu es,
flüsterte die Stimme.
Zwei Menschenleben sind ein zu hoher Preis für zwei Mäntel.
    Sein Blick verschleierte sich. Für einen Moment glaubte er Nebel zu sehen, schwarzen, hin und her tanzenden Nebel voller Blut und Gewalt, dann gewahrte er ein Paar dunkler, spöttischer Augen.
    Und als er erkannte, wessen Augen es waren, schleuderte er die Waffen.
    Die
Shuriken
jagten davon, rissen blutige Linien in seine Hände und verwandelten sich in lautlose, tödliche Räder aus Licht. Einer der beiden Thbarg brach lautlos zusammen, der andere schrie auf
    - ein halblauter, erstickter Ton, der nur wenige Schritte weit zu vernehmen war —, griff sich in den Nacken und drehte sich taumelnd um. Sein Gesicht war eine Maske aus Schmerz und ungläubigem Schrecken. Er wankte, nahm die Hände herunter und betrachtete ungläubig seine Finger. Sie glitzerten dunkel und rot von seinem eigenen Blut. Sein Mund öffnete sich, aber kein Laut kam über seine Lippen. Nur der Schrecken in seinen Augen wurde größer.
    Dann fiel er.
    Als Skar zu den beiden Toten hinüberging und ihnen die Mäntel auszog, glaubte er ein leises Lachen zu hören. Nicht die Stimme seines dunklen Bruders, nicht die seines Gewissens und nicht das Heulen des Wolfes, sondern das Lachen einer Frau. Ve-las Lachen.
    Willkommen, Bruder,
sagte es. Er hatte den letzten Schritt getan. Es gab nichts mehr, was sie unterschied.
    Jetzt — endgültig — waren sie sich gleich geworden. Es war nicht das erste Mal, daß er diesen Gedanken dachte, aber es war das er-ste Mal, daß er wußte, daß er wahr war. Er hatte Vela gehaßt, und ab heute würde er auch sich hassen.

A ndred saß noch in der gleichen Stellung da, in der Skar ihn zurückgelassen hatte, zusammengesunken und reglos, als hätte er sich die ganze Zeit über nicht bewegt, und sein Blick war so leer wie zuvor. Als Skar neben ihm niederkniete und ihm den blauen Mantel und den schweren Lederhelm in die Hand drückte, zuckte er zusammen, als erwache er aus einem tiefen Schlaf.
    »Zieh das an«, sagte Skar hastig. »Rasch. Bevor sie merken, daß die Patrouille nicht zurückkommt.« Er stülpte selbst den Helm über, warf den zerschlissenen Mantel endgültig zu Boden und streifte statt dessen das dunkelblaue Kleidungsstück der Thbarg über. Der Stoff war erstaunlich leicht, obwohl er dick war und gut wärmte, aber der Helm war um ein gutes Stück zu klein und drückte schmerzhaft

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