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Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Enwor 4 - Der steinerne Wolf

Titel: Enwor 4 - Der steinerne Wolf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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hatten den Schuppen durch eine Hintertür verlassen, ohne aufgehalten zu werden. Andred hatte Helm und Mantel ablegen wollen, als sie aus dem direkten Sichtbereich des Hafens heraus waren, aber Skar hatte es vorgezogen, die Verkleidung noch eine Weile beizubehalten. In der Stadt herrschte trotz der späten Stunden noch reger Betrieb, und Skar fiel schon nach kurzem die unverhältnismäßig große Zahl Bewaffneter auf — nicht nur Männer aus Thbarg wie die, auf die sie im Hafen getroffen waren, sondern reguläre Soldaten, aber auch andere Männer, die vor wenigen Tagen vielleicht noch als Kaufleute oder Handwerker ihr Brot verdient hatten und jetzt, mit Schwert, Helm und Brustschild bewehrt, Polizeidienste verrichteten. Nicht allen paßten die Rüstungen, die sie trugen, und eine ganze Anzahl von ihnen wirkte eher lächerlich als furcht- oder wenigstens respekteinflößend. Und noch etwas fiel Skar auf: Nicht allen schien die Rolle zu gefallen, in die man sie gepreßt hatte. Skar und Andred bewegten sich rasch durch das dichter werdende Gewühl der Altstadt und blieben kein einziges Mal stehen, aber Skar spürte die feindseligen Blicke, die ihnen viele Bewohner Anchors hinterherschickten, sehr deutlich. Die Thbarg schienen eher Besatzungs- als Schutzmacht zu sein. Trotzdem war Skar nach wenigen Augenblicken froh, weiter den Mantel eines Thbarg zu tragen. Man ging ihnen aus dem Weg; die beiden vermeintlichen Kaperschiffer fielen deshalb weniger auf als ein verletzter Freiseglerkapitän und ein Satai.
    Andred übernahm die Führung, als sie in die verwinkelten Gassen der Altstadt vordrangen. Er hielt sich erstaunlich gut, be-
    dachte man die Umstände, aber Skar fiel auch auf, daß Andreds Gang zwar nicht langsamer, aber merklich gezwungener und steifer wurde und sein linker Arm jetzt vollkommen nutzlos herabhing. Die Hand hatte er, wie in einer zufälligen Geste, in einen Zipfel des Mantels gewickelt. Es hätte eine Blutvergiftung sein können, nach allem, was Skar gesehen hatte. Aber es ging zu schnell.
    »Dort vorn ist es«, sagte Andred nach einer Weile. Skar folgte seinem Blick und gewahrte ein niedriges, aus morschen Lehmziegeln erbautes Haus, das selbst in dieser heruntergekommenen Umgebung noch schäbig wirkte. Die Tür bestand aus rohen Brettern, die lieblos zusammengenagelt waren und das Licht hindurchscheinen ließen. Über der Tür war ein verblichenes Schild angebracht, aber die Schrift war unleserlich und war es vermutlich schon gewesen, als die Farbe noch frisch war. Rechts und links des Einganges hingen ein paar zerfranste Netze, Enterhaken und allerlei anderer Kleinkram; offensichtlich Muster der Waren, die Herger feilbot. Nicht eines der Teile befand sich in einem Zustand, der des Stehlens wert gewesen wäre.
    Andred trat mit einem raschen Schritt in die Gasse hinein, sah sich mißtrauisch um und streifte dann Helm und Mantel ab. Skar folgte seinem Beispiel, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß niemand sie sah. Es war vielleicht nicht gut, in der Maske thbargscher Krieger zu Herger zu kommen.
    Skar wickelte seinen und Andreds Helm in einen der Mäntel, drehte das Ganze zu einem straffen Bündel zusammen und faltete aus dem zweiten Umhang einen improvisierten Sack. Die blaue Farbe würde kaum auffallen. Skar hatte noch nicht viel von Anchor gesehen, aber er war selten in eine Stadt gekommen, deren Bewohner so farbenfroh (oder geschmacklos — das kam auf den Standpunkt an) gekleidet waren wie die Anchors.
    Andred sah sich noch einmal sichernd um, trat mit einem entschlossenen Schnauben an die Tür und klopfte. Das Licht, das durch die dünnen Ritzen fiel, flackerte, und Skar hörte leise, schlurfende Schritte. Trotzdem dauerte es lange, bis die Tür auf-
    schwang. Ein dunkles, mißtrauisches Augenpaar lugte zu ihnen hinaus.
    »Andred?« fragte der Mann zweifelnd.
    Andred nickte ungeduldig, hob die Hand und drückte so kräftig gegen die Tür, daß der Mann dahinter zurückgeschoben wurde. Er huschte ins Haus, winkte Skar ungeduldig, ihm zu folgen, und schob die Tür wieder zu. Skar unterdrückte ein Grinsen, als er den massiven, schmiedeeisernen Riegel sah, mit dem sie gesichert war. Der Riegel mochte selbst dem Ansturm eines Banta standhalten — aber er würde nicht viel nutzen, weil das morsche Holz der Tür schon unter einem halbherzigen Fußtritt zersplittern würde.
    »Was willst du hier?« fragte der Mann, der ihnen geöffnet hatte. Skar besah ihn sich genauer. Er war alt — wie

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