Enwor 4 - Der steinerne Wolf
zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Skar folgte seinem Blick. Hinter ihnen lag nichts als die dichte, grüne Wand des Waldes, aber er konnte sich lebhaft vorstellen, was Herger hinter dem wuchernden Grün sah.
»Du brauchst dir keine Sorgen zu machen«, sagte er, ohne Herger anzusehen. »Er ... wird dir nichts tun.«
Herger runzelte die Stirn, schwieg aber. Das Schicksal Tantors und der Thbarg-Krieger strafte Skars Worte Lügen.
»Wir werden uns trennen«, sagte Skar hastig. »Am besten jetzt gleich. Solange du nicht in meiner Nähe bist, bist du nicht in Gefahr, glaub mir.«
»Trennen?« wiederholte Herger. »Du scherzt, Skar.«
Skar schüttelte den Kopf. »Ganz und gar nicht. Ich danke dir für deine Hilfe, aber von jetzt an reite ich allein weiter. Ich würde dich nur in Gefahr bringen.«
Zu seiner Überraschung begann Herger zu lachen. »Gefahr, sagst du? Was ist das, Skar? Satai-Humor? Ich glaube nicht, daß du mich noch mehr in Gefahr bringen kannst, als du es bereits getan hast.«
»Muß ich dich erst niederschlagen, oder reitest du freiwillig in einer anderen Richtung weiter?« fragte Skar, ohne auf Hergers Worte einzugehen. »Ich spaße nicht, Herger. Du hast gesehen, was jemandem passieren kann, der mir zu nahe kommt.«
Herger verzog abfällig die Lippen. »Skar, der Unglücksbringer«, sagte er spöttisch. »Der Mann mit dem Fluch, wie? Hör mit dem Unsinn auf. Ich habe euch Satai nie als Halbgötter angesehen, wie es die anderen tun, und ich werde damit auch jetzt nicht anfangen. Du kennst dieses Land nicht, Skar. Du willst nach Elay, aber allein und ohne Hilfe wirst du es niemals bis dorthin schaffen. Du wärest ja nicht einmal über Anchor hinausgekommen aus eigener Kraft. Und ich werde schon auf mich achtgeben, keine Sorge.«
Skar setzte zu einer scharfen Entgegnung an, beließ es aber dann bei einem wortlosen Achselzucken und ritt los. Herger folgte seinem Beispiel und drängte sein Tier ans Skars Seite. »Ich habe dir ein Angebot gemacht gestern abend«, fuhr er fort, ohne Skars verbissenes Schweigen zu beachten. »Und es sieht so aus, als hättest du gar keine andere Wahl, als es anzunehmen.«
Skar schwieg noch immer. Das Schlimme ist, dachte er, daß Herger mit jedem Wort recht hat. Vielleicht würde er den Weg nach Elay aus eigener Kraft finden, aber er hatte keine Ahnung, welche Gefahren und Fallen unterwegs auf ihn lauerten, und das, was in Anchor geschehen war, bewies ihm überdeutlich, wie gut Vela sich auf sein Kommen vorbereitet hatte. Sicher — Herger hatte ihn verraten, aber er hatte keine große Wahl gehabt, und letztlich würde er, Skar, Freunde — oder wenigstens Verbündete —brauchen, wenn er auch nur in die Nähe der Verbotenen Stadt kommen wollte.
Sie ritten eine Zeitlang schweigend nebeneinander her, bis der Weg so schmal wurde, daß Herger zurückbleiben mußte. Der Wald wurde dichter und setzte sich auch hinter der Hügelkette fort. Sie ritten eine Weile parallel zum Bach, bis das glitzernde Band unter einem Wust von Unterholz und wuchernden Luftwurzeln verschwand und sie sich mühsam ihren eigenen Weg suchen mußten. Herger sprach nicht mehr mit Skar, aber das lag wohl eher daran, daß der Weg mit jedem Meter schwieriger wurde und sie ihre ganze Konzentration dazu aufbringen mußten, immer wieder neue Lücken und Breschen im Unterholz zu erspähen, um nicht plötzlich in einer Dornenhecke oder einem Sumpfloch stek-kenzubleiben. Die Sonne kletterte allmählich höher, und es wurde warm, selbst hier unter dem nahezu geschlossenen Blätterdach des Waldes. Skar streifte schon bald den Umhang von den Schultern und legte ihn zusammengefaltet vor sich über den Sattel. Der Wald schien wie ein gewaltiges lebendes Treibhaus zu funktionieren — die grüne Decke über ihren Köpfen ließ die Wärme der Sonne zwar herein, aber nicht wieder hinaus, und der Gedanke, daß auf den Felsen, die die Hafeneinfahrt von Anchor flankierten, noch Schnee und glitzernder Rauhreif gelegen hatten, erschien Skar beinahe lächerlich.
Später wurde der Weg breiter, und Herger ritt wieder neben Skar, der demonstrativ in eine andere Richtung sah, obwohl er sich allmählich selbst albern vorzukommen begann. Herger wußte so gut wie er, daß ihm letztlich gar nichts anderes übrigbleiben würde, als sein Hilfsangebot anzunehmen. Auch wenn sich das ungute Gefühl, das ihn bei dieser Vorstellung beschlich, eher noch verstärkte.
Gegen Mittag wurde der Wald lichter, und als die
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