Enwor 5 - Das schwarze Schiff
herrschte Frieden, seit es die beiden Kasten gab — wieso dachte er da an Krieg und Weltuntergang? Hatte ihn der Dronte mit seinem Todesatem schon so weit angesteckt, daß er nur noch in Kategorien von Vernichtung und Tod denken konnte?
»Nichts«, sagte er hastig und lächelte. Für einen Veden war Brad ungewöhnlich gesprächig. Aber vielleicht war er auch nur nervös —Vede oder nicht, er mußte das gleiche fühlen wie Skar. Wenigstens das verband sie, dachte er. Ihre Angst. Sie kannten die gleichen Ängste wie alle anderen Menschen, nur wußten sie sie ein wenig besser zu verbergen und manchmal sogar ins Gegenteil zu wenden, sie sich sogar dienstbar zu machen. Jeder Satai wußte, was Angst war, gut und manchmal sogar zu gut. Ein Mann, der keine Angst kannte, lebte nicht lange genug, um Vede oder Satai zu werden.
»Nichts«, sagte er noch einmal. »Es war... nichts.«
Brad lächelte. »So?«
»Vielleicht habe ich über die Frage nachgedacht, was zwei Veden wie euch an Bord eines Freiseglers gebracht hat«, sagte Skar, eigentlich nur, um überhaupt etwas zu sagen und Brad nicht spüren zu lassen, was er gedacht hatte. »Zahlt Rayan so gut, oder seid ihr ihm auf andere Weise verpflichtet?«
Brad schwieg eine Weile, und Skar fürchtete fast, mit seiner Frage zu weit gegangen zu sein. Die Beweggründe des Veden gingen ihn nichts an, und er wußte, wie empfindlich Veden auf Fragen reagierten, die ihren persönlichen Bereich anrührten.
»Wir sind Brüder«, sagte Brad plötzlich. »Helth und ich sind Brüder. Und Söhne.«
»Wie meinst du das?«
»Rayans Söhne«, gab Brad mit überraschender Offenheit zu. »Wir sind Rayans Söhne, Helth und ich.«
»Rayans...« Skar suchte verblüfft nach Worten. »Der alte Seebär ist ein Vede?« fragte er ungläubig. Für einen Moment erinnerte er sich Rayans, wie er ihn zum letzten Mal unten auf der SHAROKAAN gesehen hatte: klein, kräftig, mit zuviel Speck über den sicherlich vorhandenen Muskeln, kahlköpfig und mit einem scharfen Blick, dem nicht die kleinste Kleinigkeit entging; ein Krämer, der in die Rolle eines Kriegers geschlüpft war. Jedenfalls hatte er das bisher geglaubt. Aber es war gerade umgekehrt.
»Er war es, bis er unsere Mutter traf«, nickte Brad. Es schien ihm nicht das geringste auszumachen, über sich und seine Vergangenheit zu reden, ein Verhalten, das in krassem Gegensatz zu dem Eindruck stand, den Skar bisher von ihm gewonnen hatte. Er schien im Gegenteil froh zu sein, mit jemandem reden zu können. Aber wäre Skar selbst nicht ebenso froh darum gewesen? Wenn nicht er, wer sollte dann wissen, was es hieß, in einer Welt voller Feinde zu leben, allein zu sein? Und hatte er sich selbst nicht schon ein paarmal dabei ertappt, mit dem Wind oder dem Meer zu sprechen? »Er stand vor der Wahl«, fuhr Brad fort, nachdem er sich im Schneidersitz neben Skar niedergelassen und die Arme vor der Brust verschränkt hatte, »sein Weib und sein ungeborenes Kind zu verlassen oder sein Volk. Er entschied sich für sein Weib. Eine Wahl, die einem Mann zur Ehre gereicht«, fügte er hinzu. Bei jedem anderen hätten diese Worte wie eine Rechtfertigung geklungen, aber aus seinem Munde hörten sie sich wie eine Selbstverständlichkeit an.
Skar nickte impulsiv. Nicht viele Männer hätten den Mut aufgebracht, diesen Schritt zu tun. Er mußte das Bild, das er sich über den Freisegler gemacht hatte, überdenken. »Und ihr?«
»Wir wurden Veden«, antwortete Brad. »Ich wurde nach Thbarg gebracht, als ich alt genug war, die Reise ohne meine Mutter oder eine Amme überstehen zu können, und als Rayans Weib das zweite Mal schwanger war, reiste sie selbst nach Thbarg und gebar dort Helth. Unser Volk straft nicht die ungeborenen Kinder für die Fehler ihrer Väter. Wir wuchsen als Veden auf, aber wir gingen, nachdem wir unsere Mannesweihe erhalten hatten. Zuerst ich, später Helth.«
»Ihr habt euer Volk verlassen?«
Brad schüttelte den Kopf. »Nicht für immer. Wir gelobten unserem Vater, ihm bei einer... Aufgabe zu helfen. Wenn sie erfüllt ist, kehren wir nach Thbarg zurück.«
Skar verzichtete darauf, den Veden nach der Art dieser Aufgabe zu fragen. Hätte er darüber reden wollen, so hätte er es getan.
Brad stand mit einem Ruck auf. »Ich habe noch zu tun«, sagte er knapp. »Ruh dich aus. Du wirst deine Kraft später noch brauchen. Aber schlafe nicht ein.« Fast, als wäre ihm erst jetzt und nachträglich bewußt geworden, daß er zuviel und über die
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