Enwor 5 - Das schwarze Schiff
falschen Dinge geredet hatte, drehte er sich mit einer hastigen Bewegung um und ging. Skar hörte ihn irgendwo hinter sich hantieren, widerstand aber der Versuchung, sich umzudrehen und das Gespräch fortzusetzen. Er spürte, daß der Vede jetzt allein sein wollte, aber er fühlte auch, daß Brad ihm das alles nicht aus einer Laune heraus oder gar aus Schwatzhaftigkeit erzählt hatte, sondern mit seinen Worten einen bestimmten Zweck verfolgte.
Er zog die behelfsmäßige Decke enger um die Schultern, während Brad damit begann, die beiden Fellbündel vollends aufzuschnüren und ihren Inhalt rings um sich auf dem Eis zu verteilen. Skar fror noch immer, aber die Kälte war jetzt nur noch unangenehm, nicht mehr tödlich, und seine Körperwärme begann sie allmählich unter der Decke herauszujagen. Eine wohlige Müdigkeit ergriff von ihm Besitz. Er schlief nicht, aber sein Zustand kam Schlaf doch sehr nahe; eine Art Trance, in der alles um ihn herum unwichtig wurde und aus der er erst lange nach Dunkelwerden wieder erwachte. Sein Kopf dröhnte, als er unter dem Umhang hervorkroch und sich vorsichtig aufnchtete. Er fieberte. Seine Kehle fühlte sich ausgedörrt und trocken an, und sein Rücken brannte, als wäre er mit Säure verätzt worden. Sein Herz schlug schmerzhaft und hart, und er hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen.
Brads Warnung fiel ihm ein. Widerstrebend stand er auf, streifte die Decke ab und begann sich mit Schnee abzureiben. Hinterher fror er genauso erbärmlich wie in dem Moment, in dem Brad ihn aus dem Wasser gezogen hatte, aber die Ruhe sowie die wärmende Wirkung des Nashtan hatten seinem Körper viel von seiner Kraft zurückgegeben. Er bückte sich, schlüpfte in seine noch immer feuchten Kleider und hielt nach Brad Ausschau. Der Vede stand an der seewärtigen Kante der Eismauer, winzig klein und verloren vor der gewaltigen schimmernden Fläche aus Eis. Skar fiel eigentlich erst jetzt auf, wie riesig das weiße Plateau war, auf das sie hinaufgestiegen waren — mehr als fünfhundert Meter lang, die Länge des Kanals. Was sie bisher als Wand bezeichnet hatten, war eine gewaltige, von einem Jahrtausende geduldig heulenden Wind glattgeschliffene Ebene, mächtig genug, einer Festung als Fundament zu dienen. Skar streckte sich, bewegte prüfend Arme und Beine und ging langsam zu dem Veden hinüber. »Wo ist er?« fragte er.
Brad deutete wortlos auf einen mächtigen schwarzen Schatten, der lautlos unter ihnen vorbeiglitt.
»Er kreuzt seit mehr als zwei Stunden dort. Er hat die Falle erkannt.«
»Du meinst, er wird nicht in den Kanal einfahren?«
Brad schwieg einen Moment. Sein Gesicht wirkte im schwachen Sternenlicht der Nacht bleich, aber auch weicher. Die harten Linien waren verschwunden oder hatten sich zumindest für den Augenblick hinter grauen Schatten verborgen, und um seinen Mund lag ein nachdenklicher, beinahe schon wehmütiger Zug. »Doch«, sagte er plötzlich. »Er wird. Er zögert noch, aber er weiß, daß ihm keine Wahl bleibt. Wahrscheinlich suchen sie nach einer Möglichkeit, die Mauer zu ersteigen, um uns in den Rücken zu fallen. Sie werden keine finden.«
Skar sah nach oben. Die Nacht war ungewöhnlich klar — nicht eine einzige Wolke war am Himmel zu sehen. Der Sturm hatte sich gelegt, und die Luft war von einer Durchsichtigkeit, wie man sie nur sehr weit im Norden und selbst hier äußerst selten fand. Es war hell, sehr hell.
Die schimmernde Pracht der Sterne überschüttete das Meer mit einer Kaskade von silbernem, schattenlosem Licht, so daß der Blick fast so weit reichte wie am Tage, auch wenn man nicht so viele Einzelheiten erkennen konnte. Es war, als schienen die Sterne heller als sonst, weil die Götter dem Kampf zusehen wollten, dachte Skar.
Verwundert über sich selbst, rettete er sich in ein verlegenes Lächeln. Was waren das für Gedanken? Seine? Die Gedanken eines Mannes, der die Existenz von Göttern und Dämonen bisher strikt geleugnet hatte? Er versuchte, sie zu vergessen und wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schwarzen Killersegler zu.
Brad würde wohl recht haben. Der Dronte konnte es sich einfach nicht leisten, eine langwierige Belagerung zu beginnen. Das Schiff war größer als die SHAROKAAN, aber im Gegensatz zu dem Freisegler war es kein Frachter, sondern ein Kaperschiff, wahrscheinlich randvoll gestopft mit Waffen und Kriegern. Kriegern, die essen und trinken wollten. Ihre Nahrung mußte bald knapp werden. Jedenfalls eher als die der
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