Enwor 5 - Das schwarze Schiff
ist, zu versenken oder aus dem Kanal zu räumen. Schlimmstenfalls warten wir auf die Ebbe. Sie wird die Trümmer herausspülen. Falls es überhaupt Trümmer gibt.
Du hast nicht gesehen, wie er gebrannt hat.«
»Trotzdem...« Rayan schürzte die Lippen. »Die letzten Tage haben mich gelehrt, vorsichtig zu sein.« Er blinzelte, führ sich mit der Hand über Kinn und Nase und starrte aus zusammengekniffenen Au-gen nach vorne. Die ehemals glatten Wände des Kanals waren unter der furchtbaren Hitze halb geschmolzen und zu bizarren Formen erstarrt. Der Kanal wirkte plötzlich wie ein gierig aufgerissenes, zahnbewehrtes Maul, der Rachen eines gigantischen Eisdrachens, der nur darauf wartete, über seinem Opfer zusammenzuschlagen.
»Vielleicht sollte man ein Boot mit ein paar Männern vorausschik-ken«, sagte Skar, um Rayan eine Brücke zu bauen.
»Ich hatte gehofft, daß du das sagst, Satai«, gestand Rayan leise. »Wirst du uns begleiten?«
»Uns?« fragte Skar. »Wer genau ist das?«
»Mich, Helth, ein paar meiner Männer und deinen Freund — wenn du es willst.«
Skar schwieg einen Moment. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, Gowenna allein mit Vela an Bord zu lassen. Seit er zurückgekommen war, hatte er streng darauf geachtet, daß sie die Zelle mit der gefangenen Errish nicht betrat. Brad hatte recht gehabt — niemand sollte einen Menschen wie einen Hund behandeln.
Rayan schien sein Zögern falsch zu deuten. »Ich gebe zu, daß ich neugierig darauf bin, den Dronte aus der Nähe zu sehen«, sagte er. »Man bekommt eine solche Gelegenheit nicht jeden Tag. Aber es könnte wichtig sein. Vielleicht erfahren wir genug über sie, um die Gefahr ein für allemal bannen zu können.«
Skar zögerte noch immer. Rayans Worte waren logisch —, daß sie nichts als eine Ausrede waren, wenn auch eine Ausrede, die er sich selbst gegenüber brauchte, änderte daran gar nichts —, aber gerade das war es, was ihn störte. Vermutlich würden sie nie wieder eine Gelegenheit wie diese bekommen; weder sie noch irgendein anderer Seefahrer. Im Grunde waren sie sogar verpflichtet, das Wrack des Dronte
- falls es eines gab — peinlich genau zu untersuchen.
Skar ertappte sich bei dem Gedanken, daß es gut wäre, nichts zu finden. Die Vorstellung, die verkohlten Überreste des Schiffes aus der Nähe sehen zu müssen, bereitete ihm Unbehagen.
Und auch Rayan war nicht halb so gefaßt, wie er vorgab. Unter der dünnen Tünche aus Selbstbeherrschung brodelte es. Etwas, das nicht allein mit dem Schmerz über den Verlust seines Sohnes oder der Erregung über den Sieg- nicht einmal mit beidem gemeinsam — zu erklären war, ging in dem Freisegler vor. Die Tatsache, das begriff Skar plötzlich, daß Helth und Brad seine Söhne waren, war nicht alles. Sein Geheimnis war größer, größer und düsterer. Und es hing irgendwie mit dem Dronte zusammen.
»Hältst du es für klug, selbst mitzukommen?« fragte er vorsichtig.
»Das Schiff wäre ohne Führung, wenn dir etwas zustieße.«
Rayan machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wenn uns dort vorne etwas zustößt«, sagte er betont, »wenn es dort noch irgend etwas Lebendes gibt, das uns die Ausfahrt verwehren kann, Skar, dann ist das Schiff so oder so verloren. Ob mit oder ohne Führung.«
Skar überlegte einen Moment; verwundert über seine eigenen Gefühle. Wieso sorgte er sich plötzlich so um Rayan? Der Freisegler war gewiß erfahren genug, allein über sein Schicksal zu entscheiden und die Risiken abzuwägen. Aber seit sie dieses schweigende eisige Grab am Rande der Welt betreten hatten, war etwas mit ihm geschehen. Es war, als wäre die sterile, lebensverneinende Feindseligkeit der weißen Hölle in seine Seele gekrochen und hätte dort einen wahren Sturm von Gefühlen ausgelöst; Gefühle, die ihm selbst fremd waren und ihn erschreckten, etwas, als wehre sich sein Unterbewußtsein gegen das, was da von außen herandrängte.
»Gehen wir«, schlug er vor.
Rayan lief mit raschen Schritten die kurze Treppe zum Hauptdeck herunter und eilte an Skar vorbei zur Backbordreling. Einer seiner Matrosen verschwand auf einen wortlosen Wink des Freiseglers unter Deck, wahrscheinlich, um Del zu holen.
Das Boot — eine kaum zwölf Fuß lange Pinasse, die nur von zwei Rudern vorwärts bewegt wurde — war bereits zu Wasser gelassen und mit vier kräftigen Matrosen bemannt. Rayan machte eine einladende Geste und sprang mit einem eleganten Satz in das nur wenige Fuß tiefer liegende Boot
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