Enwor 5 - Das schwarze Schiff
hob, zögerte, über den Tisch auf die seine zukroch, wieder zögerte, und dann scheu, fast ängstlich seine Finger berührte.
»Meinst du nicht, daß wir... daß wir eine Art Burgfrieden schließen sollten, bis das alles hier vorbei ist?« fragte sie.
Skar schwieg lange. »Haben wir denn Krieg?« fragte er schließlich. Gowenna antwortete nicht.
Auch nicht, als er seine Hand zurückzog.
D ie SHAROKAAN schwenkte in weitem Bogen herum. Die Männer hatten die Segel gerefft und statt dessen wieder die Ruder zu Wasser gelassen. Die Rahen des Schiffes stachen wie blattlose Äste eines bizarren Baumes in den dunstverhangenen Himmel, dürre schwarze Finger, die vergeblich versuchten, das schimmernde Grau hoch über ihnen anzukratzen. Der Segler bewegte sich nur widerwillig. Schiffe wie die SHAROKAAN waren nicht dazu konstruiert, sich auf diese Weise fortzubewegen, und die sanfte, aber beständige Strömung stemmte sich zusätzlich gegen das Schiff und zehrte den Schwung der Blätter wieder auf. Sie ruderten jetzt seit zehn Minuten, aber der Segler schien sich kaum von der Stelle bewegt zu haben.
Skar lehnte sich an die Reling und stützte die Ellbogen auf. Die lähmende Stille, die nach seiner Rückkehr von dem Schiff und der Mannschaft Besitz ergriffen hatte, war dem dumpfen, rhythmischen Klatschen der Ruder und den vielfältigen Geräuschen des langsam wieder erwachenden Schiffes gewichen: dem Knarren und Ächzen von feuchtem Holz, naß und verquollen trotz der fingerdicken Teerschicht, dem ständigen Flappen des Besansegels, das als einziges hochgezogen war, um den Ruderern zu helfen, das schwerfällige Boot auf Kurs zu halten, dem Singen von Tauwerk und Kabel. Es war, als seufzte das Schiff erleichtert, endlich von der erdrückenden Last des Eises befreit zu sein. Durch die Hitze, die das Wasser des Sees zum Kochen gebracht hatte, war auch der Eispanzer über der SHAROKAAN geschmolzen. Zum ersten Mal seit Tagen war das Schiff eisfrei. Der blausilberne Spiegel des Sees war wieder zerbrochen; die Ruhe durch die vielfältigen Geräusche des Schiffes und seiner Besatzung gestört. Vielleicht hatte hier — bevor sie kamen — ein Jahrtausend Schweigen und Stille geherrscht, aber mit der SHAROKAAN waren Hektik und Unruhe über den See hereingebrochen, menschliche Stimmen und Lachen; aber auch Krieg und Feuer und Tod.
Skar bewegte den Kopf. Seine Nackenwirbel knackten leise, und ein dünner, pfeilspitzer Schmerz schoß über seinen Rücken. Es wurde wirklich Zeit, daß er von diesem Schiff herunterkam und wieder festen Boden unter den Füßen fühlte. Er war steif und ungelenk geworden, und es lag nicht allein an der Kälte oder den Anstrengungen der vergangenen Nacht. Er bekam hier an Bord einfach nicht genug Bewegung. Anders als Del widerstrebte es ihm, unter den Augen der Besatzung seine Übungen zu absolvieren. Er wußte selbst nicht, warum, aber er wäre sich albern dabei vorgekommen, Gymnastik zu treiben und Schwertkämpfe gegen nicht vorhandene Gegner auszutragen.
Der See lag noch immer unter einer dichten Decke aus Nebel und Dampf, hinter der die Sonne seltsam unscharf und verschwommen aussah — ein leicht in die Länge gezogener Kreis mit zerfaserten Rändern, gelb und von ungewöhnlich heller Farbe. Der Nebel war warm; wärmer, als er hätte sein dürfen, vermischt mit Dampf, der noch immer vom Kanal herüberwehte. Von Zeit zu Zeit riß der Wind die wirbelnden Schwaden auseinander, und er konnte die großen, trichterförmigen Wunden sehen, die die Brandgeschosse in das Eis geschlagen hatten. Er wußte, wie hart dieses Eis war, hart wie Stahl, gehärtet von unzähligen Jahrhunderten der Kälte, und obwohl er das Höllenfeuer am eigenen Leibe verspürt hatte, erschien es ihm fast unmöglich, daß die Geschosse des Dronte eine solche Verheerung angerichtet haben sollten.
Skar sah flüchtig auf, als Gowenna neben ihn trat. Er ging ihr aus dem Weg, wo er konnte, aber auf einem so kleinen Schiff wie der SHAROKAAN war das fast unmöglich, und wenn Gowenna es bemerkte, so ignorierte sie es. Seine Lippen verzogen sich für einen Moment zu einem bedeutungslosen Lächeln und erschlafften dann wieder. Seine Muskeln schmerzten. Er gehörte nicht hierher, sondern hinunter in die Kajüte und ins Bett. Aber er wußte, daß er keinen Schlaf finden würde. Gowenna war gegangen, vorhin, aber er war weiter wach geblieben und hatte stundenlang in der leeren Kabine gehockt, bis das Schiff nach und nach wieder zum Leben
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