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Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Enwor 5 - Das schwarze Schiff

Titel: Enwor 5 - Das schwarze Schiff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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daß sie auserwählt wurde. Vielleicht mußte es so kommen.« Sie schwieg einen Moment. »Man sagt, daß irgendwann, am Ende der Zeiten, die große Schlacht zwischen Gut und Böse entbrennen wird. Vielleicht ist es jetzt soweit, und wir alle sind nichts als Figuren in einem Spiel, dessen Regeln Mächtigere bestimmen.«
    »Jetzt bringe bitte nicht auch noch die Götter mit ins Spiel«, seufzte Skar. Aber er war nicht so ruhig, wie er tat. Gowennas Worte hatten etwas in ihm berührt, etwas wie ein tief verborgenes, schlummerndes Wissen in ihm geweckt, von dem er noch nicht sagen konnte, was es bedeutete, aber deutlich spürte, daß es da war. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und stieg vorsichtig vom Eisdach des halb zusammengestürzten Gebäudes herab. Er entfernte sich ein paar Schritte von dessen Eingang, weit genug, daß keiner der Männer ihre Stimmen hören konnte, und blieb am Rande der Eisspalte stehen. Kälte stieg in unsichtbaren Wellen aus dem gewaltigen Riß hoch und hüllte ihn ein.
    »Was ist hinter diesen Bergen?« fragte er, als Gowenna nach einer Weile zu ihm trat.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete sie, und er fühlte, daß es die Wahrheit war. »Ich war niemals hier. Niemand war je hier.«
    »Aber du kanntest diese Insel.«
    Sie nickte. »Die Heimat des Dronte, ja. Und vielleicht Schlimmerem.«
    »Dann wußtest du, daß er uns auflauern würde?«
    »Nein. Niemand von uns hat es gewußt oder auch nur geahnt. Aber ich wußte, was geschehen würde, als ich ihn sah.«
    »Und warum hast du uns nicht gewarnt?«
    Gowenna hockte sich neben ihm nieder, formte einen Schneeball und warf ihn in die Spalte. Er verschwand lautlos in der Tiefe. Skar wartete auf das Geräusch seines Aufpralls, aber das einzige, was er hörte, war das unablässige Heulen des Windes.
    »Was hätte es genutzt?«
    Skar setzte zu einer scharfen Antwort an, aber Gowenna stand schnell auf und trat zwei, drei Schritte zurück. Es sah aus wie eine Flucht, und das war es wohl auch. Diesmal war sie es, die einer Konfrontation aus dem Wege gehen würde.
    »Vielleicht wären ein paar von uns dann noch am Leben«, sagte er leise.
    »Das vielleicht. Aber es hätte nichts geändert. Er wollte uns hier haben, Skar, und er hätte uns auf jeden Fall hierhergetrieben, ganz gleich, wie.«
    »So wie du, nicht?«
    Gowenna war für einen Moment verunsichert. »Wie —«
    »Ich meine es so, wie ich es sage, Gowenna«, fuhr Skar fort, so ruhig, daß es ihn beinahe selbst überraschte. »Du hast niemals vorgehabt, Vela zum Berg der Götter zu bringen. Du wolltest sie hier haben, genau hier.« Es waren — beinahe genau — die gleichen Worte, die Del wenige Stunden zuvor gesagt hatte, und er spürte eigentlich erst jetzt, daß sie richtig waren. Er hatte auch nicht in der Art einer Frage gesprochen.
    »Und wenn es so wäre?« fragte Gowenna leise.
    Skar trat auf sie zu und hob die Hand. Gowenna fuhr zusammen, als erwarte sie einen Schlag, aber Skar berührte nur sanft ihr Gesicht und folgte mit den Fingerspitzen den dünnen, tiefen Linien der Narben, die der Drachenatem in ihre Haut gefressen hatte.
    »Ich weiß es nicht«, gestand er. »Ich... müßte dich hassen, aber ich kann es immer noch nicht. Vielleicht spielt es auch keine Rolle, was du gewollt hast. Der Dronte hat alles geändert, was irgendwer von uns irgendwann einmal
gewollt
hat. Es... täte mir nur weh, wenn du mich belogen hättest.«
    »Es gibt Situationen, in denen man keine Rücksicht mehr auf Gefühle nehmen kann, Skar.«
    Skar lachte, und Gowenna sah ihn verwundert an. »Du lachst?«
    »Ja — normalerweise wäre ich der, der diese Worte sprechen müßte, weißt du das?« Er wurde wieder ernst, zog seine Hand zurück und streckte sie, nach kurzem Zögern, abermals aus; diesmal, um Gowenna in die Arme zu nehmen. Sie ließ es zu, aber Skar spürte, wie sich ihr Körper unter dem unförmigen Mantel versteifte.
    »Nicht, Skar«, flüsterte sie. Er ließ sie los. Gowenna trat zurück, zog — nur um ihre Hände zu beschäftigen und nicht, weil es nötig gewesen wäre — ihren Mantel höher und wich seinem Blick aus.
    »Warum sagst du es mir nicht?« fragte er.
    »Was?«
    »Was du vorhast, Gowenna. Ich weiß, daß du Vela niemals vor den Rat der Dreizehn bringen wolltest. Wenn du sie töten willst —«
    »Das will ich nicht«, fiel ihm Gowenna ins Wort, so heftig, daß er spürte, wie weh ihr sein Verdacht tat.
    »Ich würde es verstehen«, fuhr er unbeeindruckt fort.

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