Enwor 8 - Der flüsternde Turm
ihm einen vernichtenden Blick zu und ging rasch weiter; ein wenig
zu
schnell, um Skar davon zu überzeugen, daß sie
wirklich
wußte, wohin sie ging. Aber er folgte ihr widerspruchslos.
Es war ein wahres Labyrinth, durch das sie sich bewegten. Die alten, seit einem Jahrtausend nicht mehr benutzten Verliese blieben hinter ihnen zurück, sie durchquerten Gänge und Hallen voller aufgestapelter Kisten und Fässer und abgedeckter Ballen, dann wieder leere, unermeßlich große Hallen, in denen der Staub von Jahrhunderten zu einer steinharten Schicht auf dem Boden zusammengebacken war. Skar war in dieser Zeit mehr als einmal sicher, daß Kiina längst die Orientierung verloren hatte und den Weg nur noch erriet. Obwohl er schon einmal hiergewesen war, konnte er sich nicht mehr genau an den Weg zu den Drachenhöhlen erinnern, aber was er wußte war, daß er
kürzer
gewesen war.
Wesentlich
kürzer. Ein schneller Fluchtweg machte sehr wenig Sinn, wenn man sich die Füße wundlief, um ihn zu bewältigen.
Aber schließlich führte Kiina ihn wieder durch einen Gang, den er kannte, obgleich das rote Licht alles fremd und kleiner und gedrungener erscheinen ließ, als er es in Erinnerung hatte. Wortlos trat er an Kiina vorbei und bedeutete ihr mit Gesten, daß er von nun an wieder die Führung übernahm. Sie widersprach nicht, sondern wirkte ganz im Gegenteil erleichtert.
Sie traten durch eine weitere, getarnte Tür und fanden sich unvermittelt im Dunkeln wieder. Kiina hielt ihn am Arm zurück und machte einen halben Schritt in die Schwärze hinein. Skar hörte sie vor sich hinhantieren, dann glomm ein winziger Funke auf und wurde in Sekundenschnelle zum prasselnden Feuer einer ganz normalen Fackel. In dem flackernden Licht sah Skar, daß eine ganze Reihe davon in eisernen Haltern neben der Wand warteten.
Er ersparte sich die Frage, wie Kiina die Fackel so schnell entzündet hatte — schon um nicht einen weiteren Vortrag über die
geheimen Künste
der
Errish
hören zu müssen —, und streckte fordernd die Hand aus. Kiina reichte ihm die Fackel, entzündete eine zweite für sich selbst und schob sich zwei weitere Reservefackeln unter den Gürtel. Skar runzelte mißbilligend die Stirn.
Was hatte sie vor? Unter der Erde bis nach Ikne zurückzulaufen?
Schaudernd sah er sich um. Er war nicht das erste Mal hier, aber der Anblick erschreckte ihn ebensosehr wie damals: die geheime Tür hatte sie auf einen schmalen, glasglatten Felssims hinausgeführt, der dicht unter der Decke einer wahrhaft titanischen Höhle entlangführte. Der Schein ihrer Fackeln verlor sich schon nach wenigen Fuß in absoluter Dunkelheit, aber Skar wußte, daß der Boden mehr als eine Meile unter ihnen lag. Die Höhle war so groß, daß ganz Elay bequem hineingepaßt hätte. Und es war nicht die einzige.
»Worauf wartest du?« fragte Kiina, als er sich nicht von der Stelle rührte.
Skar machte eine Kopfbewegung auf den finsteren Abgrund vor sich. »Dort unten ist nichts«, sagte er. »Kein Licht. Keine Geräusche.«
»Vielleicht sind sie in einer der anderen Höhlen«, sagte Kiina unwillig. »Komm schon.« Und wie es ihre Art war, ging sie einfach los, ohne auf seine Antwort zu warten. Skar folgte ihr, aber er tat es mit gemischten Gefühlen. Auf der einen Seite war er es Kiina
- und auch sich selbst — schuldig, sich wenigstens davon zu überzeugen, daß auch die Drachenhöhlen leer waren. Aber sie hatten die mit Titch vereinbarte Zeit längst überschritten, und der Rückweg würde doppelt anstrengend und somit auch ein gutes Stück länger sein. Und wenn er ganz ehrlich war, dann hatte er fast Angst vor dem, was sie vielleicht finden konnten. Er ertrug den Gedanken nicht, noch mehr Tote zu sehen.
Das einzige, was er für die nächste halbe Stunde sah, waren Kiinas Rücken, die glatte Felswand neben sich und die Stufen aus schwarzer Lava, die in magenumstülpendem Winkel vor ihnen in die Tiefe führten. Seine Waden begannen zu schmerzen, dann sein Rücken, und als er endlich den Boden der Höhle erreicht hatte, hatte er das Gefühl, keinen Schritt weiter gehen zu können. Erschöpft lehnte er sich gegen die Wand und atmete mehrmals hintereinander tief ein und aus, um sein Blut wieder mit frischem Sauerstoff zu füllen.
»Was hast du, Satai?« fragte Kiina spöttisch. »Schon müde?«
Skar funkelte sie ärgerlich an. »Nicht halb so erschöpft wie du, kleines Mädchen«, sagte er. »Ich bin nur nicht so dumm, so zu tun, als würde es mir nichts
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