Enwor 8 - Der flüsternde Turm
verteidigten«, sagte sie. »Und?«
»Und welchen Sinn sollte es haben, einen leeren Palast zu verteidigen?«
Kiinas Lippen begannen zu zittern. Sie machte einen Schritt an ihm vorbei, blieb wieder stehen und hob hilflos die Arme. Skar sah, daß sie noch immer den Scanner in der rechten Hand trug. Im Griff des bizarren kleinen Instruments blinkte ein winziges grünes Licht. Die Waffe war schußbereit. Mit einem traurigen Lächeln trat Skar zu ihr, nahm ihr den Scanner aus der Hand und sah sie fragend an. Kiina berührte eine Taste auf der silbern schimmernden Oberfläche des Geräts, und das Licht erlosch. Skar schob den Scanner unter seinen Gürtel.
»Laß uns gehen«, sagte er.
Kiina reagierte nicht. Ihr Blick ging an Skar vorbei ins Leere, und erst jetzt, erst in diesem Moment, begriff er wirklich, was der Anblick der leeren Thronkammer für sie bedeuten mußte. Natürlich hatte auch Kiina gewußt, daß sie hier oben so wenig finden würden wie in irgendeinem anderen Teil des Palastes, aber der Thronsaal war ihre letzte Hoffnung gewesen, die letzte, verzweifelte Lüge, die noch zwischen ihr und dem Moment stand, in dem sie sich eingestehen mußte, daß Elay vernichtet war. Und mit ihr die
Errish.
Kiina begann leise zu weinen und schmiegte sich an seine Brust, und während Skar einfach dastand und darauf wartete, daß der ärgste Schmerz vorüber war und sie sich wieder weit genug in der Gewalt hatte, um mit ihm diesen schrecklichen Ort zu verlassen, begriff er ganz allmählich, daß sie nicht nur eine zerstörte Stadt gefunden hatten. Diese Thronkammer war nicht
irgendeine
Thronkammer, so wenig wie dieser Palast
irgendein
Palast war oder Elay
irgendeine
Stadt. Es war das Herz der
Errish,
die Heimat der
Ehrwürdigen Frauen,
die unantastbar waren, seit Enwor bestand. Nicht einmal die Quorrl, die alles Menschliche haßten und Enwor und seine Bewohner mit zahllosen Kriegen überzogen hatten, hatten es jemals gewagt, die Hand gegen eine
Errish
zu erheben. Ihre Heimatstadt zu zerstören, bedeutete an den Grundfesten der Welt zu rütteln.
Aber waren sie nicht längst zerbrochen ?
flüsterte eine Stimme in seinen Gedanken. Die Geister, die Vela heraufbeschworen hatte, hatten doch längst angefangen, Enwor zu verändern, schleichend und fast unbemerkt von den meisten seiner Bewohner, aber auf eine Art, die nie wieder gutzumachen war. Selbst, wenn es ihnen gelang, Drasks Brüder und ihre Verbündeten
(oder Herren?)
zu besiegen — wovon Skar ganz und gar nicht überzeugt war —, würde Enwor nie wieder die Welt sein, als die er sie kannte. Sie war es jetzt schon nicht mehr.
»Gehen wir«, sagte er noch einmal. »Ich habe zu Titch gesagt, daß wir in einer Stunde zurück sind. Sie ist längst vorbei.«
Kiina löste sich aus seiner Umarmung und zog geräuschvoll die Nase hoch. Ihre Augen waren rot und das Gesicht verquollen. »Entschuldige«, murmelte sie. »Der... der Staub. Er brennt in den Augen.« Skar spürte, wie peinlich es ihr war, daß er sie wie ein Kind weinen sah. Dabei beneidete er sie fast darum, noch weinen zu können. Er schwieg.
»Du hast recht«, fuhr Kiina nach einer Sekunde fort. »Gehen wir. So schnell wie möglich. Ich —« Sie brach mitten im Wort ab und sog hörbar die Luft ein. Ihre Augen wurden groß.
»Was hast du?«
»Vielleicht... vielleicht gibt es doch noch ein paar Überlebende«, flüsterte Kiina. »Die Katakomben, Skar! Die Drachenhöhlen unter der Stadt! Sie halten jedem Angriff stand! Nicht einmal eine Armee von
Errish
könnte sie erobern!«
Skar starrte sie an.
War er denn blind gewesen?
Er kannte die Höhlen so gut wie Kiina. Was lag näher, als sich im Falle eines Angriffes an einen Ort zurückzuziehen, der erstens leicht zu verteidigen und dessen Existenz nur einigen wenigen Eingeweihten bekannt war? Er verstand nicht, warum er nicht von selbst auf diesen Gedanken gekommen war!
Kiina fuhr herum, aber Skar hielt sie am Arm zurück. »Wo willst du hin?«
»In die Höhlen!« antwortete Kiina. Sie versuchte sich loszureißen, aber Skar hielt sie fest. »Es gibt einen Eingang unten in den Kellern des Palastes! Ich zeige ihn dir!«
»Ich kenne einen kürzeren Weg«, antwortete Skar.
Kiina sah ihn verwirrt an. »Du —?«
Skar ließ ihre Hand los, wandte sich um und ging auf den Thronsessel der
Margoi
zu. Das wuchtige, aus einem einzigen übermannshohen Basaltblock herausgemeißelte Möbelstück mit den beiden drohend hochgereckten Drachenschädeln als Armlehne war mit
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