Enwor 8 - Der flüsternde Turm
Versuchung, sich auf dem Boden auszustrecken und die Augen zu schließen. Er hatte Angst, zu schlafen. Wenn er schlief, kamen die Träume, und vielleicht würde er nicht mehr er selbst sein, wenn er das nächste Mal aufwachte. Sie rasteten eine Stunde, dann zogen sie weiter, dem Gipfel des nächsten, höheren Berges entgegen, der vor ihnen aufragte. Sie brauchten den Rest des Tages, die Nacht und noch einen Teil des nächsten Morgens, um ihn zu erreichen, und dann versagten Skars Kräfte einfach.
Mitten im Schritt brach er in die Knie, kippte nach vorn und schlief ein —
und träumte wieder.
Er sah sich selbst und Titch, allein auf einer gigantischen, vollkommen leeren Ebene aus schwarzem Stahl, über der sich kein Himmel spannte. Sie kämpften, einen gnadenlosen, endlosen Kampf, in dem keiner den anderen besiegen konnte und sie sich gegenseitig immer wieder furchtbare Wunden beibrachten, ohne daß einer von ihnen aufgab oder schwächer wurde. Der Zorn war wieder da, schlimmer denn je, und er hatte seinen Bruder mitgebracht, die Furcht, die Skar im gleichen Maße zu lähmen schien, wie ihm der Haß Kraft verlieh.
Dieser Traum war nicht so sonderbar zweigeteilt wie seine Vorgänger, denn Skars Bewußtsein war einfach zu ausgelaugt, um noch irgendwelche Eindrücke aufnehmen zu können, aber dafür erschien er ihm — obgleich bizarr und irreal — auf unheimliche Weise wirklicher als alles, was er vorher erlebt hatte, als gäbe es eine Wahrheit, die nichts mit der Realität zu tun hatte. Der Kampf zwischen Titch und ihm wogte mit verbissener Wut hin und her, und Skar wußte auch, daß er niemals enden würde, denn im Traum waren sie beide unverletzlich; ihre Wunden schlossen sich so schnell wieder, wie sie sie schlugen, es war nicht der Kampf zwischen ihnen selbst, den sie kämpften, sondern die uralte Auseinandersetzung zwischen der Welt der Quorrl und der Welt der Menschen, das Ringen zweier Völker, die sich nur gegenseitig vernichten konnten, nicht aber einander besiegen.
Plötzlich waren sie nicht mehr allein. Der
Daij-Djan
war da, sein dunkler, mörderischer Bruder, der die letzte Hälfte seines Lebens zu einer Spur aus Blut und Tod gemacht hatte, und er winkte ihm zu und trat mit einer fragenden, fordernden Geste hinter Titch, der weiterkämpfte, ohne die Chimäre auch nur zu bemerken.
Was willst du?
fragte Skar, und der
Daij-Djan
antwortete mit
seiner lautlosen, böse flüsternden Stimme:
Dir helfen, Bruder. Laß ihn mich für dich töten, wenn du es schon nicht für mich tust. Es ist gleich, wer es macht. Wir sind eins.
Ich bin du, und du bist ich.
Und wieder war die Verlockung da, stärker denn je, der verzweifelte Wunsch, daß alles endlich ein Ende haben möge, ganz egal, um welchen Preis. Die Klaue des
Daij-Djan
hob sich, und Titchs Bewegungen erstarrten.
Nein,
sagte Skar.
Überlege es dir gut, Bruder. Es ist das letzte Mal. Wenn du meine Hilfe das nächste Mal brauchst, mußt du mich rufen. Und dann werde ich nicht mehr gehen.
Ich will deine Hilfe nicht,
stöhnte Skar.
Du bringst den Tod.
Ich
bin
der Tod,
antwortete der
Daij-Djan
spöttisch.
Du bist der Tod, Bruder, denn ich bin du, so wie du ich bist. Aber auch der Tod ist nicht unsterblich. Dir bleibt nicht mehr viel Zeit. Weniger, als du glaubst. Komm.
Die Bestie wandte sich um und winkte, und als Skar ihr folgte, war die stählerne Ebene plötzlich verschwunden, und sie standen am Rande einer gewaltigen, Meilen um Meilen tiefen Klippe, die direkt in die Hölle hinabführte.
Sieh!
Die Hand des
Daij-Djan
deutete nach Norden, und Skars Blick folgte der Geste über die Leere hinweg bis zu dem Schatten, auf den sie deutete.
Es mußten Hunderte Meilen bis dorthin sein, aber die Vision folgte ihren eigenen Gesetzen, und Skar konnte deutlich sehen, was es war, das sein dunkler Bruder ihm zeigen wollte: Ein Turm. Ein finsterer, steinerner Block von einer Farbe, die dunkler als Schwarz war und das Licht aufsaugte, und die Haß ausstrahlte wie eine unsichtbare rote Woge. Skar spürte ein Pulsieren wie das Schlagen eines finsteren, gigantischen Herzens, und in seinen Gedanken wurde jeder Schlag dieses unsichtbaren Herzens zu einem drängenden Flüstern:
Töte! Töte! Töte!
Skar wollte die Augen schließen, aber er konnte es nicht. Der Anblick des schwarzen Kolosses im Herzen des Drachenlandes lähmte seinen Willen.
Das Mädchen ist dort,
sagte der
Daij-Djan. Und die, die du suchst, auch. Aber du kannst sie nicht besiegen ohne mich. Allein
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