Enwor 9 - Das vergessene Heer
dessen bloße Nähe ausreichte, ihn sich klein und hilflos wie einen Wurm fühlen zu lassen, gegen das selbst das
Etwas
in ihm klein und lächerlich war. Er hatte Angst. Als er weiterging, rührte sich Anschi nicht.
Skar bemerkte ihr Zögern, drehte sich herum und sah sie ernst an. »Wir können nicht mehr zurück«, sagte er einfach. Keine Beschwörungen, keine Bitte. Kein Befehl. Nur diese fünf Worte. Und doch bewirkten sie mehr, als alle Beschwörungen und alles Flehen es gekonnt hätte, denn sie waren die Wahrheit. Sie konnten nicht zurück, selbst wenn sie es gewollt hätten. Wenn sie es auch nur versuchten, das wußte Skar, dann würde der Dämon sie auf der Stelle töten.
Sie gingen weiter. Es erwies sich als fast unmöglich, die Lücke im Felsen zu durchqueren, denn der Stein glühte noch immer, und Skar zog sich ein halbes Dutzend zwar harmloser, aber sehr schmerzhafter Verbrennungen an Armen und Beinen zu, während er mit zusammengebissenen Zähnen hinter Anschi herlief.
Er hatte instinktiv erwartet, auf eine Fortsetzung der Katakomben zu stoßen, aber nachdem sie die Felswand durchschritten hatten, fanden sie sich unvermittelt in einem niedrigen, aus grauem Stein gemauerten Gewölbe wieder: älter als der Turm, aber längst nicht so alt wie der Tempel der
Alten.
Einem Keller, vielleicht sogar einem Verlies, das ganz gewiß nicht Teil des uralten Labyrinths war. Vor ihnen erstreckte sich die flammende Spur des Ungeheuers, aber sie glühte längst nicht mehr so grell wie drüben im Nischengang, und in einiger Entfernung begannen sich die Fußabdrücke sogar zu verlieren; waren keine kochenden Seen aus brennender Lava mehr, sondern nur noch rote, schließlich mattleuchtende Stapfer auf dem feuchten Boden. Sie führten zu einer Treppe, deren Stufen sich in grauer Ungewißheit verloren.
Obwohl sie jetzt nicht mehr mit der Glut der Hölle in den Fels eingebrannt war, verloren sie die Spur des Dämons nicht, denn wo seine Füße den Boden berührt hatten, dampfte er noch: sie folgten der Treppe, die gute zwei Dutzend Stufen weit in die Höhe führte, durchquerten einen weiteren, anscheinend vollkommen leeren Raum und fanden sich plötzlich unter einer niedrigen Kuppel wieder, die sich gänzlich von der unterschied, die sie gerade durchquert hatten. Ihre Wände bestanden aus graubraunem Fels, der aber kaum mehr zu sehen war, denn sie war mit geradezu verschwenderischer Pracht ausgestattet — wohin Skar auch blickte, sah er goldenen und silbernen Zierrat, Schmuck und Teller und Krüge aus edlen Metallen, Kerzenständer und tausend andere Dinge, alle aus den alleredelsten Materialien gefertigt. Hunderte von Kerzen tauchten den Raum in fast taghelles Licht. In der Mitte des kleinen Raumes stand eine Art steinerner Altar, aus einem einzigen, gewaltigen Felsbrocken herausgemeißelt. Aber auch er war kaum als solcher zu erkennen, denn er war über und über mit bestickten Decken und Gold und Silber und allen nur denkbaren Opfergaben übersät. Auf der anderen Seite der Kammer sah Skar die Stufen einer steinernen Treppe, die zu einer nur halb geschlossenen Tür aus mattem Stahl hinaufführten. Dort oben mußte wieder jener Bereich des Turmes beginnen, den Ennart und seine Zauberpriester beherrscht hatten.
Anschi erschrak bis ins Mark, als sie all diese Pracht erblickte. Trotz des unnatürlichen Lichtes, das dieses Meer von Kerzen schuf, sah Skar, wie sie erbleichte. Ihre Augen wurden dunkel vor Furcht.
»Was hast du, Anschi?« fragte er alarmiert. »Du kennst diesen Raum also doch?«
Anschi nickte. Die Bewegung wirkte so abgehackt, als koste sie ihr unendliche Kraft.
»Der… Gebetsraum«, stammelte sie. »Das hier ist… der Gebetsraum der
Margoi.
Hierhin zog sie sich zurück, um zu meditieren und… mit den Göttern zu sprechen. Und zu den Drachen!«
Skar sah die
Errish
verständnislos an.
»Den Drachen?«
»Ja, begreifst du denn immer noch nicht?« Plötzlich sprang sie auf Skar zu, packte ihn bei den Schultern und schüttelte ihn wild. »Er will zu ihnen!« schrie sie.
»Er will sie, nicht uns!«
Ihre Worte trafen Skar wie ein Schlag ins Gesicht. Er hatte niemals darüber nachgedacht, und im Grunde war es ihm sogar herzlich egal, woher die Macht der
Margoi
kam, aber wenn Anschis Worte der Wahrheit entsprachen, dann…
Ja, dachte er schaudernd, dann konnte das durchaus das Ende der Welt sein.
Sie konnten die Zauberpriester besiegen. Sie konnten die Quorrl schlagen, und sie konnten vielleicht sogar die
Weitere Kostenlose Bücher