Enwor 9 - Das vergessene Heer
ihre Erstarrung als erste überwand. Plötzlich schrie sie auf, so gellend und schrill, als hätte man ihr einen weißglühenden Dolch in den Leib gestoßen, riß ihr Schwert mit beiden Händen in die Höhe und sprang mit einem gewaltigen Satz vor, wobei sie zwei der Kerzenständer umwarf. Noch ehe Skar wirklich begriff, was sie tat, flankte sie über den Altarstein hinweg, stand plötzlich unmittelbar vor dem Dämon und schlug mit aller Gewalt zu. Ihre Klinge schnitt pfeifend durch die Luft, traf den Feuerkörper des Entsetzlichen und glitt durch ihn hindurch, ohne irgendwelchen Schaden anzurichten.
Dann schlug der Dämon zu. Es war nur seine ungeheure Größe, die die Bewegung langsam erscheinen ließ; in Wirklichkeit griff seine Flammenklaue in Gedankenschnelle nach Anschis Schwert und entrang ihr die Waffe. Die Klinge flammte in greller Weißglut auf. Geschmolzenes Metall tropfte zu Boden, und Anschi torkelte mit einem gurgelnden Laut zurück. Das Ungeheuer hatte sie nur gestreift, aber dort, wo seine Finger den bestickten schwarzen Mantel berührt hatten, war das Leinen zu Asche zerfallen. Anschi schrie vor Schmerz, brach in die Knie und krümmte sich. Ihr Gesicht war eine Grimasse aus Pein und Furcht, als sich der Dämon mit einer fast gemächlichen, aber unglaublich kraftvollen Bewegung umwandte und auf sie zustapfte.
Skar schrie entsetzt auf, als er sah, wie sich die Flammenhände des Entsetzlichen nach der knieenden
Errish
ausstreckten. Er dachte nicht mehr, und er hatte auch keine Angst mehr. Er sah nur die grauenhaften Hände des Ungeheuers sich Anschis Gesicht nähern, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er noch einmal das Bild des verbrannten Zauberpriesters zu sehen. »NEIN!« schrie er mit überschnappender Stimme. »Tu es nicht! Laß sie! NIMM MICH!«
Und sprang.
Sein Satz war wesentlich weniger elegant als der Anschis, aber ebenso kraftvoll. Mit einem einzigen, verzweifelten Schritt durchquerte er den durchbrochenen Kreis, den die Kerzenhalter bildeten, und warf sich mit weit ausgebreiteten Armen zwischen Anschi und das Ungeheuer.
Und lernte die Hölle kennen.
Das Ungeheuer füllte die Welt vor ihm aus, machte sie zu einem Chaos aus durcheinanderwirbelnden Funken und Glut und Hitze, Hitze, Hitze… Er wollte schreien, aber die Laute wurden zu flüssigem Feuer in seiner Kehle. Lava floß durch seine Adern, und jeder einzelne Nerv in seinem Körper schien in weißer Glut aufzuflammen. Der Funkenleib des Ungeheuers hüllte ihn ein, umschloß ihn wie ein Mantel aus tanzender Glut, durchdrang seinen Körper —und zog sich zurück.
Im ersten Moment begriff Skar es gar nicht. Wie Anschi war er auf die Knie herabgefallen und wimmerte vor Schmerz und Angst, die linke Hand auf den Boden gestützt, der glühend heiß geworden war, die andere in einer abwehrenden Geste erhoben. Irgendwie begriff er, daß er noch lebte, und er wunderte sich auch darüber, aber das stärkste Gefühl in ihm war die Angst, ein Entsetzen, das tiefer war als alles, was er sich vorgestellt hatte, ein ungeheures Grauen, und es war nicht die Angst vor dem Tod oder dem Schmerz, der ihm vorausgehen mochte, sondern nur die Angst vor
ihm,
dem Ding vor ihm, das so entsetzlich fremd war, so anders als alles, daß Panik die einzig mögliche Reaktion auf sein Dasein war. Plötzlich begriff er, warum die Menschen die Dämonen gefürchtet hatten, wenn es wirklich ein Dämon war, dem er gegenüberstand: es war nicht die Angst vor dem, was sie tun konnten, nicht die Angst vor dem Tod und der Verheerung, die sie brachten, sondern die bloße Angst vor ihrem
Dasein.
Sie waren Teil einer anderen, entsetzlichen Welt, die zu fremd und bizarr war, als daß ein Mensch sie ertragen konnte. Aber wieso lebte er dann noch?
Stöhnend hob Skar die Hand, wischte sich die Tränen aus den Augen und sah auf. Der Dämon war fort.
Wo er gestanden hatte, rauchte der Boden, und in der Luft hing noch sein Schwefelgestank und ein Hauch entsetzlicher Hitze, aber der tobende Funkenleib war verschwunden, so spurlos, als wäre er niemals dagewesen. Sie hatten gewonnen.
Die Erkenntnis sickerte nur langsam in sein Bewußtsein, als wäre der Gedanke einfach zu bizarr, um ihn zu akzeptieren. Sie hatten gewonnen. Sie hatten den Dämon vertrieben!
»Wir… wir haben es geschafft, Anschi«, stammelte er ungläubig. »Es ist fort!«
Aber war es das wirklich? Oder hatte es statt der
Errish
nur ein anderes, viel lohnenderes Opfer gefunden, das-
Skar weigerte sich,
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