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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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und verströmte einen sterilen Geruch nach
Medizin, Desinfektionsmitteln und frischen Verbänden. In seinem linken Arm
steckte eine Kanüle, von der aus ein dünner Schlauch hin zu einem Tropf ging.
Sie hatten ihn zunächst ruhiggestellt, hatte man ihr erklärt, doch mittlerweile
schlief sein geschundener Körper nur mehr den Schlaf der Gerechten. Über und
über war er mit Pflastern und Verbänden übersät, um die vielen kleinen Schrammen
und Prellungen zu behandeln, die er sich zugezogen hatte.
    Tapferkeit war vielleicht ein
Markenzeichen, mit dem Lee Crooks sich schmücken konnte. Gutgläubigkeit war ein
anderes.
    Sie war bereits über eine Stunde
hier, hatte in dieser Zeit zweimal den Kaffeeautomaten ein Stockwerk tiefer
aufgesucht und die leeren Plastikbecher zerknüllt auf die Fensterbank gestellt.
Sie kämpfte gegen die eigene Müdigkeit an, die vergangene Nacht hatte ihnen
allen so viel abverlangt. Vor allem ihrem tapferen Lee.
    Sie lehnte sich auf dem
Kunststoffstuhl nach hinten und dachte über das Geschehene nach, während ihr
Blick auf den flimmernden Fernseher oben in der Zimmerecke fiel. Lees
Zimmergenosse – ein älterer Mann mit einem Bierbauch und einem derben Gesicht –
schaute desinteressiert eine dieser unsäglichen Nachmittags-Talk-Shows.
Vielleicht schlief auch er, das konnte Liza nicht sehen, die klobigen Kopfhörer
des Mannes versperrten ihr die Sicht auf seine Augen.
    Seufzend sah sie aus dem Fenster.
Draußen brütete die nachmittägliche Junisonne alles nieder. Zum Glück war es
hier klimatisiert.
    Ihr Blick fiel wieder auf Lee.
Natürlich hatte er sie in alles eingeweiht und sie konnte sich sehr gut
vorstellen, worum es für jeden in Ravinia bei all dem ging.
    Und dann war da noch Patrick
gewesen, der ihr erst geholfen hatte, damit der miese, düstere Wahrsager Lee
nicht tötete, und später dann mit ihr zusammen Lord Hester Rede und Antwort
gestanden hatte.
    Liebe macht angeblich blind.
    Verliebtheit auf jeden Fall.
Gemischt mit Adrenalin und dem Willen, irgendetwas zu unternehmen, hatte sie
mit Patrick kurzerhand die wahnwitzige Idee ausgebrütet, die Geschwister
Skinner aus dem Gefängnis zu holen. Wie gottverdammt hirnrissig! Eigentlich
wollten sie in Dismas nur anklopfen und fragen, ob es wenigstens möglich sei,
mit den beiden gefangenen Akrobaten ein Gespräch zu führen. Doch dann waren
ihnen die Nerven durchgegangen.
    Was folgte, war die zweite Hälfte
der Nacht in Dismas. Und hätte Lord Hester nicht entschieden, dass er Patrick
gerne für seine Zwecke einspannen wollte, säßen sie dort vermutlich immer noch
und würden auf leere Wüsten oder endlose Salzseen hinausstarren.
    Verdammt noch mal. Lee. Warum
brachten die jugendlich fiebrigen Gedanken über Lieben und Geliebtwerden nur
jeglichen Funken an gewöhnlichem Verstand zum Erlöschen?
    Sie hätte heulen können.
    Denn das Bitterste kam immer erst
zum Schluss: die Erkenntnis.
    Lee hatte sich vor Lara geworfen. Er hatte diese dämliche, braunblonde
Schlüsselmacherin mit seinem eigenen Leben beschützt. Verflucht! Irgendetwas
verband die beiden, und dieses Etwas war stärker als alles sonst. Vor allem
aber war es stärker als das Band zwischen ihnen .
    Liza hätte es riechen müssen. Vom
Moment des ersten Kusses bis hin zu all jenen Gelegenheiten, wo er ihr stets
beteuert hatte, dass zwischen Lee Crooks und Lara McLane bloß Freundschaft
herrschte.
    Sie musste schlucken.
    Aber vermutlich war das Schicksal
noch grausamer. Vermutlich redeten sie sich tatsächlich beide ein, dass sie so
etwas wie Freunde, wie Geschwister wären, die gemeinsam Pferde stehlen konnten
und durch dick und dünn miteinander gingen.
    Konnte Schicksal nicht etwas
Grässliches sein?
    Lee regte sich im Bett.
    Sofort war Lizas gesamte
Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet.
    Verschlafen blinzelte er unter
seinen rotbraunen Haarsträhnen hervor, öffnete seine Augen, die so seltsam tief
in die Seele eines Menschen blicken konnten. Liza hätte manchmal geschworen,
sie wären wie echte Abgründe, in die man hineinfallen konnte.
    Â»Hey«, brachte er müde hervor und
streckte den gesunden Arm aus.
    Ihre Hände umfassten einander und
Liza biss sich auf die Unterlippe. Doch auch der Schmerz ihrer Zahnabdrücke
konnte nicht verhindern, dass eine Träne ihre Wange hinabkullerte, während sie
um Fassung

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