Epicordia
gewesen? Lief
die Zeit hier unten überhaupt
auf vergleichbare Weise ab? â hinabgestiegen waren in die Wunder dieser
steinernen Welt. Doch was sie sah, bekräftigte sie darin, dass sie sich schon ziemlich tief unter Ravinia befinden mussten.
Vor ihnen tat sich eine Höhle auf, deren Ausmaà sich
letztlich nur erahnen lieÃ. Ihre Decke war viele, vielleicht sogar Hunderte
Meter hoch und umfing alles Darunterliegende wie eine groÃe Glocke. Sie war
über und über besetzt mit leuchtenden Steinen. Die Luft war voll mit groÃen
Glühwürmchen. Und tief unter ihnen lagen Gebäude. Richtige Gebäude, Häuser und
StraÃen, erbaut aus Bruch- und Sand- und Kalkstein. Es gab Hütten und Paläste,
getaucht in die diffuse Imitation des Tageslichtes, das die Höhlendecke abgab.
Ein geschäftiges Treiben herrschte hier. Beinahe hätte
Lara schwören können, sie sähe vor sich ein schummriges Spiegelbild ihrer
geliebten düstergoldenen Stadt Ravinia.
Mit einem Blick nach links und rechts erkannte Lara,
dass sie nicht als Einzige überrascht war. Neben ihr schienen ihren Begleitern
einem nach dem anderen die Kinnladen herunterzufallen. Selbst der so
beherrschten Geneva stand das Staunen förmlich ins Gesicht geschrieben.
Francesco wartete hinter ihnen mit verschränkten Armen. Offenbar genoss er, wie
sie mit der epischen Andersartigkeit zusammenprallten. Sie lieà den Blick
erneut über das unglaubliche Panorama vor ihren Augen schweifen und stellte
sich vor, wie an dieser Stelle Emerson, Lake and Palmer zu einer progressiven Fanfare ansetzen würden. Why do you
stare? Do you think I care? Youâve been mislead by the thoughts in your head . Das war der
Wahnsinn â wenngleich die Düsternis, die aus allen Ecken zu ihnen strömte,
unheimlich war.
»Das ist Elo«, sagte Francesco. »Eine Kleinstadt unter
der Oberfläche. Mitten im Herzen von Epicordia.«
Er führte sie einen Weg
entlang, der in den Fels geschlagen war und von einer niedrigen Balustrade
eingerahmt wurde. Die Rundung des Pfades war der AuÃenwand der Höhle angepasst.
Langsam, langsamer stiegen sie tiefer hinab in das sogenannte Herz.
»Ich werde euch bei meiner Familie unterbringen«,
erklärte Francesco ihnen im Vorangehen.
Lara war nicht bewusst, was es hieÃ, wenn man zu Gast
bei einer Familie der Mondmenschen war. Sie hielt es für ein nettes und
zuvorkommendes Angebot, so als würde man Geschäftspartner bei sich im Haus
unterbringen â eine Tatsache übrigens, der die Schlüsselmacher von Ravinia nie
ins Auge zu blicken brauchten. Besuchte ein Schlüsselmacher die Werkstatt des
anderen â was zugegebenermaÃen selten genug vorkam â dann blieb er nicht über
Nacht. Warum auch? Er konnte ja einfach mit einem seiner Schlüssel irgendeine
Tür aufschlieÃen und wieder nach Hause zurückkehren. Es war einfach ein wenig
verrückt, dachte Lara, was sie wiederum zu der Ãberlegung führte, ob es in
Ravinia vielleicht auch einen verrückten Hutmacher gab? So einen wie bei Lewis
Carroll? Vielleicht hatte es ja tatsächlich mal einen gegeben, der Carrol
Modell gestanden hatte?
Sie betraten den Boden der GroÃen Halle. Hier, aus
verändertem Blickwinkel, wirkte das, was man von oben noch für ein verwinkeltes
Städtchen gehalten hatte, ein wenig anders. Viele Häuser waren zu gröÃeren,
palastartigen Komplexen zusammengefügt. Teils mit verwinkelten Anbauten,
kleinen Türmen und anderen Auswüchsen, die mit der Zeit angefügt worden sein
mussten. Kein Wunder, dass dieses architektonische Durcheinander von oben an
eine wirre Kleinstadt hatte denken lassen. Von Nahem betrachtet waren einzelne
groÃe Anwesen durch hohe Gartenmauern voneinander getrennt. Zwischen ihnen
lagen gröÃere oder kleinere Plätze mit buckligem Kopfsteinpflaster.
Francesco machte eine
ausladende Handbewegung, die alles umfasste, was sich vor
ihnen ausbreitete.
»Hier leben die Clans des Mondvolkes.«
»Clans?«, fragte Tom.
»Die verschiedenen
ehrwürdigen Familien«, erklärte Francesco. »Die Pucettis, die Monellis, die
Capris, die Bastianis und einige andere.«
»Italiener durch und durch?«
Francesco schüttelte den Kopf.
»Viele sind italienischstämmig. Längst nicht alle,
aber die meisten, das stimmt wohl. Doch genau da liegt es ja auch im Argen. Hier
steckt viel Stolz in
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