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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Geneva
nach.
    Francesco sah sie unvermittelt an.
    Â»Ja«, sagte er dann. »Bisher hält er sich ganz gut,
obwohl er schon wirklich lange hier unten ist. Aber auch der wird noch seinen
Lagerkoller kriegen.«
    Geneva erwiderte nichts.
    Sie bogen einmal mehr ab. Lara hatte aufgehört, die Abzweigungen
zu zählen, und tröstete sich mit dem Gedanken, dass es sicherlich einfacher
wäre, nach oben zu finden als nach unten.
    Schatten huschten über die Steine und ein Wispern
ertönte.
    Â»McLane.«
    Â»Hier entlang.«
    Â»Nein hier.«
    Â»Morgen geht die Welt unter.«
    Â»Nein übermorgen.«
    Â»Nein, nächste Woche.«
    Â»Der dunkle Fluss greift nach der Stadt.«
    Â»Und nach den Menschen.«
    Â»Halt die Klappe.«
    Ein Keckern folgte, wie von einer Bande wild
gewordener Eichhörnchen.
    Â»Nimmerchen?«, fragte Lara vorsichtig.
    Â»Kluges Kind«, flüsterten hohe Stimmchen zurück.
    Â»Nein, nein, gar nicht dumm.«
    Â»Doch, doch, nur ein Menschchen.«
    Â»Ein Menschchen hier unten?«
    Â»Ja, hier unten.«
    Â»Oh nein, oh nein.«
    Tom packt sie an der Schulter.
    Â»Hör nicht hin«, warnte er sie. »Sie treiben gerne
ihre Späße. Aber eigentlich sind sie scheu. Und sie reden jede Menge, wenn
genügend Zeit da ist. Eine Eigenschaft, auf die sie unheimlich stolz sind.«
    Â»Oh ja, stolz, stolz, stolz«, hallte es von den Wänden
wider.
    Â»Ich hab mal eines gesehen«, erinnerte Lara sich. »Auf
dem Friedhof von Highgate, kurz bevor –«
    Sie brachte den Satz nicht zu Ende.
    Â»Ja«, meinte Tom nur. »Sie treiben sich häufig an
solchen Orten herum. Man könnte sagen, sie haben eine Vorliebe für
Verwunschenes. Aber glaub mir, sie können auch ganz schön nervig sein.«
    Â»Nervig.«
    Â»Nerv, nerv.«
    Â»Oh ja, Menschchen sind so schnell genervt.«
    Ein verschmitztes Lächeln huschte über Toms Gesicht,
das Lara nur im Profil sehen konnte. Und dann bemerkte sie, wie Geneva ihn für
einen kurzen, verhuschten Augenblick förmlich anstarrte.
    Schon wieder, dachte Lara. Sie konnte sich selbst ein
Grinsen nicht verkneifen. Sollte Tom wirklich das Interesse einer Frau geweckt
haben? Lara würde das auf jeden Fall gespannt verfolgen, schwor sie sich.
    Â»Nimmer, nimmer, Nimmerchen«, begann eines der kleinen
Wesen zu singen, während es neben ihnen her über die unebenen Wände huschte.
    Francesco klatschte unerwartet und sehr laut in die
Hände. Lara fuhr zusammen, aber auch die Nimmerchen. Sie quiekten und
raschelten einige Sekunden lang, dann waren sie verschwunden. Irgendwo in den
Schatten, hinter einem Felsen oder einem der leuchtenden Steine, wer wusste das
schon.
    Â»Wovon leben die Nimmerchen?«, fragte Lara.
    Â»Von den Glühwürmchen.«
    Â»Oh.«
    Â»Und wovon leben sie dann oben in der Stadt?«, wollte
Tom wissen.
    Francesco zuckte mit den Schultern.
    Â»Entweder von den kleinen Glühwürmchen dort oben oder
aber von allerlei anderen Insekten.«
    Lara war ganz Ohr. Sie wusste, dass es Nimmerchen auch
in Ravinia gab und dass sie mancherorts als eine Art Rattenplage betrachtet
wurden. Dabei musste sie sich eingestehen, dass sie die kleinen Biester eher
süß fand als nervig. Ihr Äußeres lag irgendwo zwischen Ratte, Eichhörnchen und
Meerschweinchen. Sie hatten lange und kräftige Hinterbeinchen, ein wenig wie
kleine Kängurus, sodass sie auch aus dem Stand höhere Sprünge schafften. Auf
der anderen Seite konnten sie sprechen. Oder zumindest plappern. Wahrscheinlich
konnten sie einem – wie Tom sagte – also tatsächlich nach einer Weile ziemlich
auf den Geist gehen. Eine belustigende Vorstellung, fand Lara, die sich nach
diesem Vorfall mangels weiterer Unterhaltung seitens ihrer Mitreisenden in
Träumereien flüchtete, die davon handelten, was sie wohl noch an schönen, aber
auch schaurigen Wundern in Epicordia erwarten könnten. Und davon, wie wohl
gesinnt ebendiese ihnen wohl sein mochten. Oder eben nicht.
    Doch wie das so oft ist mit der Gedankenverlorenheit,
löst sie sich beim Anblick der Realität im Nichts auf.
    Laras Überlegungen zu den Nimmerchen zumindest waren
wie fortgeweht, als sie einige Zeit später den Ort erreichten, den man in
Epicordia Die Große Halle oder einfach Das Herz nannte.
    Lara wusste nicht, wie
tief sie in der vergangenen halben Stunde – Oder war es länger

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