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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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den Gemütern. Guter alter italienischer Stolz.«
    Â»Woran liegt das?«
    Â»Keine Ahnung«, gestand Francesco. »Warum die meisten
unserer Leute aus dem italienischen Raum kommen, weiß ich nicht. Klar ist, dass
das, was uns zum Mondvolk macht, sich in den alten Familien immer vererbt hat.«
    Â»Gab es denn nie Verbindungen mit Menschen?«
    Â»Na ja«, gab Francesco zu bedenken. »Sind wir denn
keine Menschen?«
    Â»Ich weiß es nicht«, sagte Tom. »Sag du es mir!«
    Francesco seufzte.
    Â»Wir können nicht ans Tageslicht. Das unterscheidet
uns eklatant von anderen Menschen, richtig?«
    Tom nickte.
    Â»Aber wir saugen den Menschen nicht das Blut aus, um
davon zu leben. Wir verwandeln uns auch nicht in Fledermäuse und mit Knoblauch
kochen wir ausgesprochen gern. Damit wäre die Behauptung, wir seien Vampire,
schon einmal deutlich widerlegt. Und das ist nur das dumme Geschwätz, das
durchweg oben in den Gassen von Ravinia gemunkelt wird.«
    Â»Zumindest keine Bram-Stoker-Vampire«, raunte Geneva
Lara mit einem Grinsen ins Ohr.
    Â»Stimmt«, gab Francesco ihr laut recht. »Zumindest
nicht so, wie die Welt sie sonst so beschreibt.«
    Geneva blickte peinlich berührt weg.
    Â»Und um Toms Frage zu beantworten: Ja, es gab
Verbindungen zwischen uns und anderen Menschen. Diejenigen, die daraus hervorgingen,
waren jedoch zumeist keine glücklichen Figuren. Entweder hatte sich die
Empfindlichkeit gegen Sonnenlicht vererbt oder nicht. In beiden Fällen
unterschied sich das Kind auffallend von einem seiner Elternteile. Also alles
andere als eine wünschenswerte Situation.«
    Â»Und so bleibt ihr lieber unter euch?«, wollte Lara
wissen.
    Â»Ach Lara«, sagte Francesco. »Das ist alles nicht so
einfach. Zwar ist es einem Erwachsenen, der sich über die Schwierigkeit der
Situation im Klaren ist, möglich, so eine Beziehung aufrechtzuerhalten. Aber
Kinder sind doch immer bloß die Opfer des Ganzen. Ein Kind würde mit der
Gewissheit leben, niemals so zu sein wie seine Eltern. Womit identifiziert es
sich also? Was soll es denken? Wem eifert es nach? Eifert es seinen Eltern nach,
deren Beziehung zueinander quasi automatisch eine Sollbruchstelle hat? Oder
macht es sich auf und sucht einen eigenen Weg? Wie wäre es später in der Lage,
selbst eine vernünftige Partnerschaft zu führen? Es kennt die Dinge doch gar
nicht so, wie sie im Idealfall sein sollten. Es kennt nur die Schwierigkeiten,
die so etwas birgt, weil es sein Leben lang nichts anderes mitbekommen hat.
    Stell dir doch mal ein Kind
vor, dessen Mutter oder dessen Vater zu uns gehört. Wie ist das zu erklären? In
welche Welt gehört es? Nach Ravinia, auch wenn es keinerlei magisches Talent
besitzt? Nach Epicordia, wo es keine Sonne gibt? Wie soll es zur Schule gehen,
wo wohnen, wie jemals eine vernünftige Beziehung zu seinen Eltern aufbauen? Ein
entfernter Cousin von mir hat sich darauf eingelassen. Er arbeitet abends und
nachts als Aushilfe in Fabriken, als Taxifahrer. Die eine Hälfte des Jahres
verbringt die Familie in Johannesburg, die andere in Trondheim. Das Kind kennt
nur den Winter, da es nur dann eine halbwegs gute Zeit mit seinem Vater
verbringen kann. Wir können uns im Sommer nicht in Mitteleuropa aufhalten, wenn
es nachts nur fünf Stunden lang dunkel ist. Wo sollten wir hin? Sie haben eine
Weile überlegt, ob sie in Richtung Äquator ziehen sollten, aber auch das ist nur
eine halbherzige Lösung. Die Familie hat keine wirklichen Freunde. Ihren Eltern
hat man erklärt, ihr Schwiegersohn leide unter einer Krankheit. Seine Eltern
haben sich wegen ihres verlogenen Familienstolzes von ihm abgewandt. Sag mir
Lara, ist das ein Leben?«
    Lara blieb stumm. Sie hatte die Frage nicht böse
gemeint. Warum auch? Diese Welt hier unten war anders. Aber dass diese Tatsache
vor allem in empfindsamen Seelen wie der Francescos eine gewisse Verbitterung
hervorrief, war ihr nicht bewusst gewesen. So schien es ihr beinahe ein wenig
so, als sei das Mondvolk ein Haufen Verbannter. Und wenn das so sein sollte,
tat es ihr furchtbar leid.
    Â»Das wusste ich nicht«, gab sie schließlich etwas
kleinlaut von sich.
    Francesco seufzte.
    Â»Entschuldige, dass ich mich in Rage geredet habe. Du
kannst ja nichts dafür.«
    Lara blickte hoch.
    Â»Ist es nicht seltsam, dass es mit Epicordia dann
einen Ort gibt, an dem ihr dennoch leben könnt?«
    Da huschte ein

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