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Epicordia

Epicordia

Titel: Epicordia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Corzilius
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Poesie.
    Das Notizbuch hatte Patrick schließlich gefunden,
inmitten zweier umgekippter CD -Stapel. Hastig hatte
er durch die Seiten geblättert, doch für Lara hatte es nur ausgesehen wie
wahllos dahingekritzelte Zeilen, kreuz und quer über das gesamte Büchlein
verteilt.
    Dann hatte er sie mit nach unten genommen, durch die
Halle, mit Mr Jones im Schlepptau, den sie am gusseisernen Gatter
zurückgelassen hatten. Lara hatte seine treuen Blicke in ihrem Rücke gespürt,
genau wie die von Donald Mayhew, dem Hausdiener, der so verzweifelt versuchte,
eine Stütze im Reigen der Niedergeschlagenheit des Hauses Davenport zu sein – und
doch nicht zu ändern vermochte, was über die Familie gekommen war.
    Und da nicht zu ändern war, was einmal geschehen war,
verließen sie das Anwesen wieder. Schweigend im letzten Licht des Tages, sodass
Lara sich einmal mehr etwas Musik von ihrem MP 3-Player
auf den Ohren wünschte. Sie würde ihn sicherlich kein zweites Mal vergessen.
Doch wusste sie eigentlich auch nicht recht, was er ihr nützen sollte im Kampf
gegen die Sturmbringer. Trost spenden vielleicht?
    Lord Hester hatte sie zur Erholung verdammt – ein
Widerspruch in sich. Man konnte ja auch nicht aufhören, fortwährend an Eisbären
zu denken, wenn man gesagt bekam, man solle genau das lassen, oder?
    Sie folgten der Hauptstraße hinunter in Richtung
Stadtzentrum und schon bald konnte Lara zwischen den teuren Villen hindurch das
Dach der Kathedrale auf dem Marktplatz sehen. St. Anna Rosa am Fluss war ein
monumentales Wahrzeichen der Stadt und stand jederzeit jedem offen, auch wenn
es in den letzten Jahren nur einen christlichen Geistlichen gegeben hatte, und
zwar Robert Garbow, der unten am Markt zwischen all seinem orientalischen
Krempel wohnte. Lara fiel ein, dass sie nie darüber nachgedacht hatte, was er
wohl an Abenden wie diesen machte, wenn er nicht unter Leuten war. Ob er in
aller Ruhe und mit aller Liebe sein legendäres Baklava zubereitete, das er
stets jedem zum Tee anbot, der ihn besuchen kam?
    Sie waren unterwegs ins Künstlerviertel der Stadt, wo
sie Patricks Bruder Christopher zu finden hofften, der die Bibliothek
verwaltete. Gewöhnlich arbeitete dieser noch bis spät in die Nacht, hatte
Patrick ihr erklärt, doch nicht, wenn es einmal in der Woche
Abendveranstaltungen in der großen Stadthalle gab.
    Lara selbst war nicht häufig dort gewesen. Wenn sie
sich unter verrücktes Volk mischen wollte, tat sie dies viel lieber im Rondell. Die Leute waren nicht so abgehoben wie all
die Maler, Bildhauer, Schriftsteller und Musiker im Künstlerviertel.
    Aus irgendeinem Grund schienen die vielen bildenden
Künstler Ravinias häufiger als andere Bewohner der Stadt unter seltsamen
Allüren oder Neurosen zu leiden. Und warum sollte Lara sich irgendwo
wohlfühlen, wo man die ganze Zeit nur damit beschäftigt war, sich gegenseitig
übertrumpfen zu wollen, weil man Bestätigung für ein zu wenig beachtetes Ego
brauchte? Sicher, es gab Ausnahmen – ihren Großvater zum Beispiel, der magische
Musik zu schaffen vermochte, aber es nicht an die große Glocke hängte. Aber
Henry McLane hatte sich ohnehin schon vor Jahrzehnten aus Ravinia zurückgezogen
und war seitdem seiner Tätigkeit als Touristenführer in Edinburgh nachgegangen.
    Schließlich passierten sie den Marktplatz und
schlenderten durch einen kleinen Park. Und je weiter sie sich vom Haus der
Davenports fortbewegten, desto besser wurde Patricks Laune. Er streckte die
Arme aus und wischte übrig gebliebene Regentropfen von den Blättern einiger
Bäume. Seine Augen begannen wieder zu funkeln, so wild wie bei ihrer ersten
Begegnung unten in Epicordia in seiner kleinen Laube. Es kam Lara vor, als
würden sie sich schon eine Ewigkeit kennen. Alles war so betäubend einfach zu
ertragen, solange nur seine Nähe dafür sorgte, dass sie fasziniert blieb.
Zumindest sagte sie sich das gerne.
    Ein Schatten sauste an ihrem Ohr vorbei und sie stieß
einen kurzen Schreckenslaut aus.
    Â»Krah«, machte es und ein Rabe flatterte wild mit den
Flügeln, um auf einem Geländer zu landen.
    Und es war natürlich nicht irgendein Rabe.
    Â»Dexter«, schimpfte Lara. »Lass das! Ich erschrecke
mich dabei zu Tode.«
    Â»Sorry«, krähte der Rabe, aber es klang nicht, als
meinte er es auch so.
    Â»Was machst du überhaupt hier? Ich meine, wie findest
du uns

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