Epsilon
Gesangsnummer aufführen.
»Also, was ist das hier, Charlie?«, fragte Fry und ergriff eins der Ölgemälde, die an die Wand gelehnt waren. »Hat doch einen Namen, oder?«
Frys Akzent, den Charlie bei ihrer ersten Begegnung nicht hatte einordnen können, war, wie er nun wusste, australisch.
»Es ist eine Fluss-Szene«, antwortete Charlie. »Im Hintergrund Berge – da, sehen Sie. Wildnis.«
»Oh, ja… ja, ich sehe. Sehr nett.«
Der kleine Mann kritzelte »Fluss-Szene« in sein Notizbuch, dann riss er das Blatt heraus und befestigte es an der Rückseite des Gemäldes.
»Und das hier?«, fragte er und ging zum nächsten Bild.
»Wolken«, erwiderte Charlie. »Wolken und Himmel, und das Spiel von Licht auf dem Meer. Das Meer kann man nicht sehen, aber einen solchen Himmel findet man nur über dem Meer.«
Virgil Fry nickte, fertigte eine weitere Notiz an und klebte sie hinten auf das Bild. Insgesamt gab es vierzehn Gemälde, die seit Frys letztem Besuch vor einem Monat entstanden waren. In den letzten Jahren war er regelmäßig ein Mal im Monat vorbeigekommen und hatte Charlies gesamte Produktion gekauft. Und das war eine Menge. Charlie war es gleichgültig, was Fry damit tat, Hauptsache er nahm die Bilder mit. Andernfalls hätte Charlie sie auf den Müll geworfen. In der Tat hatten er und der kleine Mann sich auf diese Weise kennen gelernt. Eines Tages hatte Fry an Charlies Tür geklopft und gefragt, was es mit den Bildern auf sich hätte, die er draußen auf dem Müll gesehen hatte. Schließlich hatte Charlie ihm erzählt, dass er der Maler war.
»Es ist ein rein geschäftlicher Vorschlag, Mr. Monk«, hatte Fry gesagt. »Ich behaupte nicht, dass ich ein Kenner bin, aber ich bin ein Händler, und ich weiß, was sich verkauft. Ihre Arbeit wird bei einem breiten Publikum Anklang finden. Sehen Sie, Sie malen teilweise abstrakt, aber nur teilweise, nicht ganz, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Charlie verstand nicht, was er meinte, und scherte sich auch keinen Pfifferling darum, also schwieg er, während Fry in seinem singenden Akzent fortfuhr:
»Es gibt ohne Zweifel Leute da draußen, keine Sammler, sondern ganz gewöhnliche Käufer, die gerade nach Arbeiten von der Qualität suchen, wie Sie sie liefern. Wenn der Preis stimmt, könnten Sie ein ganz gutes Geschäft damit machen. Mein Anteil beträgt 40 Prozent. Selbstverständlich können Sie jederzeit meine Geschäftsbücher einsehen. Und falls Sie es wünschen, können Sie jederzeit eine eigene Rechnungsprüfung in Auftrag geben…«
Charlie hatte zugestimmt, nicht zuletzt, um den kleinen Mann endlich zum Schweigen zu bringen. Die Vorstellung, dass es tatsächlich Menschen geben sollte, die sich seine Gemälde an die Wand hängten, erschien ihm so unwahrscheinlich, dass er nicht weiter darüber nachdachte. Doch Frys Worte erwiesen sich als zutreffend, und seit jenem Tag waren regelmäßig kleinere Beträge auf Charlies Bankkonto eingegangen. Nicht dass er das Geld gebraucht hätte; was er brauchte, bekam er in überreichem Maße von den Leuten, für die er arbeitete. Malen war für ihn eine Abwechslung, eine – wenn auch nicht die einzige – Form von Beschäftigung, um die Zeit zwischen zwei Aufträgen zu überbrücken.
Er konnte sich nicht daran erinnern, wie alles angefangen hatte. Er erinnerte sich daran, dass er als Kind gemalt und gezeichnet hatte, wie es wohl jedes Kind tut. Als er älter wurde, hatte er Zeichenunterricht erhalten, doch er hatte die Stunden nur besucht, weil sie Pflicht waren und – noch wichtiger – weil sie nicht wirklich Arbeit machten. Darüber hinaus hatte er kein Interesse am Malen gezeigt – bis er auf die »Farm« kam, wie sie den Ort nannten, an den sie ihn brachten, nachdem alle anderen ihn aufgegeben hatten. Aber noch heute wusste er nicht, was ihn dazu veranlasst hatte, dort mit dem Malen anzufangen, obwohl er sich noch deutlich erinnerte, wie viel Freude es ihm zu seiner eigenen Überraschung bereitet hatte.
Von Beginn an hatte er hauptsächlich Landschaften gemalt, allerdings mit einer seltsam abstrakten Qualität, wie Fry richtig bemerkt hatte. An einer Analyse des Malvorgangs lag ihm nichts, obwohl er sich vage bewusst war, dass er nicht das malte, was er sah, sondern eher die Wirkung, die das, was er sah, auf ihn hatte, also etwas, das aus seinem Innern kam; was zum Teufel das auch immer heißen mochte.
Auf die Frage, was Malen für ihn bedeutete, hätte er antworten müssen, dass es ihn beruhigte und
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