Epsilon
gleichzeitig die Langeweile in Schach hielt. Unruhe und Langeweile waren seine beiden ganz persönlichen Dämonen. Sie hatten ihn schon in eine Menge Schwierigkeiten gebracht, vor allem in seinem früheren Leben. Doch das war eine Zeit, an die er lieber nicht mehr denken wollte.
»Bis zum nächsten Mal, Mr. Monk.«
Charlie winkte flüchtig, bevor die Tür sich hinter dem Händler schloss. Froh, wieder alleine zu sein, ging Charlie auf seine Terrasse zurück, zur Staffelei und zu dem Bild, an dem er vor Frys Ankunft gearbeitet hatte. Er setzte sich auf den niedrigen Holzschemel und ergriff seine Palette und einen Pinsel. Obwohl er auf eine Reihe von vor Anker liegenden Privatyachten und Motorbooten hinausblickte, die zu den teuersten der ganzen Westküste gehörten, zeigte die Leinwand vor ihm eine Wüstenlandschaft, die er teils aus der Erinnerung, teils aus seiner Fantasie geschaffen hatte. Zumindest stellte es für ihn eine Wüstenlandschaft dar. Für andere mochte es bloß ein Muster von Linien und Farben sein, ein abstrakter Entwurf; oder teilweise abstrakt, nicht ganz, wie Fry sagen würde.
Charlie drehte – wie vorhin – das Radio an. Manchmal hörte er sich nachmittags, wenn er zu Hause war, die verschiedenen Talkshows an. Es faszinierte ihn, was die Menschen alles in der Öffentlichkeit ausbreiteten. Die meiste Zeit waren diese Diskussionen für ihn nur eine Geräuschkulisse, doch gelegentlich kam eine solch außergewöhnliche Geschichte zur Sprache, dass Charlie unwillkürlich in seiner Arbeit innehielt, um genauer hinzuhören, verblüfft darüber, was für ein Leben manche Menschen führten.
An diesem Tag zum Beispiel war ein ehemaliger Soldat im Studio, ein offenbar gestörter Mann, der behauptete, in der Armee Opfer von Gehirnwäsche-Experimenten gewesen zu sein. Charlie ließ sich von der Geschichte fesseln, auch wenn er nicht an solche Dinge glaubte. Doch in der Art und Weise, wie der Mann erzählte, lag eine spürbare Aufrichtigkeit, die seine Geschichte seltsam faszinierend machte. Als die Sendung endete, musste Charlie zu seiner eigenen Überraschung feststellen, dass er den Großteil der letzten Stunde mit nichts anderem verbracht hatte, als zuzuhören. Sein Pinsel lag auf der Palette, die Farbe auf den Borsten war lange eingetrocknet.
3
Es war Sonntagnachmittag, und Christopher, Susans sechsjähriger Sohn, spielte draußen im Garten mit Buzz, seinem Spaniel-Welpen. Susan befand sich im Schlafzimmer und stieg aus den alten Jeans, um etwas Attraktiveres anzuziehen, bevor sie John vom Flughafen abholen ging. Sie bemühte sich stets, sich für ihn schön zu machen, und er bestätigte ihr jedes Mal, dass sie immer gut aussähe, egal was sie trüge. Mit anderen Worten, sie waren auch nach acht Jahren Ehe noch so ineinander verliebt wie am ersten Tag. Die Trennungszeiten, die ihnen ihre beruflichen Tätigkeiten aufzwangen, ertrugen sie widerstrebend, aber mit der Gewissheit, dass solche Zwänge ihre gemeinsame Zeit nur umso wertvoller machten.
An diesem Nachmittag sollte John von einer Reise nach Russland zurückkehren. Wie Susan war auch er Arzt, obwohl er nie in die Forschung gegangen war und nur ein paar Jahre regulär praktiziert hatte. Während des praktischen Jahres hatte man ihm versichert, dass er das Zeug zu einem ausgezeichneten Chirurgen besäße, ein Beruf, der sowohl Talent als auch das nötige Spezialwissen erfordere, und John schien beides zu haben. Er hatte ein besonderes Interesse an Bauchspeicheldrüsen-Erkrankungen gezeigt, und sein Professor hatte ihn ermutigt. Ruhm und Reichtum seien von Spezialisten auf einem relativ kleinen und schwierigen Gebiet wie diesem mühelos zu erreichen.
Doch nach Ruhm und Reichtum hatte John Flemyng bei seinen Zukunftsplänen nie gestrebt. Schon vor dem College hatte er gewusst, dass sein eigener Vorteil nicht sein oberstes Ziel war. Er war kein Radikaler, nicht einmal besonders politisch aktiv. Er kritisierte niemanden, der sein Leben dem Erfolg und der Jagd nach dem Geld widmete, noch war er besonders religiös – zumindest nicht in dem Sinn, dass er einem bestimmten Glauben anhing, irgendwelchen Dogmen folgte oder besondere philosophische Ansichten vertrat. Er war nur der festen Überzeugung, dass der Unterschied zwischen richtig und falsch für gewöhnlich gut erkennbar war, und hielt das Versäumnis, sich an dieser Unterscheidung zu orientieren, für unnatürlich und schädlich sowohl für sich selbst wie für andere.
Als Susan ihm zum
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