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Epsilon

Epsilon

Titel: Epsilon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Ambrose
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gestreckt oder gekreuzt wurden, begleitet vom lauten Gähnen eines Menschen, der gelangweilt ist und sich bemüht, wach zu bleiben. Kein weiteres Geräusch folgte, kein Wort wurde gewechselt, kein leises Murmeln oder Brummen, das auf die Anwesenheit eines zweiten Menschen hindeutete. Charlie schloss daraus, dass er es nur mit einem Wachposten zu tun hatte.
    Charlie umrundete die Biegung mit einer schnellen, ausbalancierten, beinahe tänzerischen Bewegung. Der stämmige Kerl, der sich gerade auf seinem lederbezogenen Stahlrohrstuhl zurechtgesetzt hatte, fand kaum Zeit zu begreifen, was vor sich ging, bevor Charlie ihm die Handkante gegen den Kehlkopf schlug – so hart, dass seinem Opfer die Luft wegblieb und der Schock zum augenblicklichen Herzstillstand führte.
    Das Ganze war fast lautlos vor sich gegangen, nur das gedämpfte Zischen von einem letzten Rest Luft, der dem Mund des Toten entwich, war zu hören. Charlie packte den Mann, sodass er nicht zur Seite kippen und mit einem verräterischen Geräusch zu Boden fallen konnte. Zwischen dem Gang und der Kabine seines Zielobjektes gab es einen Vorraum, und Charlie musste damit rechnen, dass dort ein weiterer Posten Wache hielt.
    Er ließ den Toten sanft zu Boden gleiten und stand noch immer gebückt da, als sich die Tür hinter ihm öffnete. Der Mann, der heraustrat, öffnete den Mund, um einen Warnschrei auszustoßen, während er nach der Waffe in seinem Schulterhalfter griff. Doch Charlie überbrückte die Distanz zu ihm mit einem Hechtsprung, bevor der Wächter die Pistole ziehen konnte. Als die beiden Männer aufeinander prallten, hatte Charlie bereits ein Messer mit schmaler Klinge in der Hand, das er, den Schwung der Bewegung ausnutzend, tief ins Herz seines Gegners bohrte. Die andere Hand presste Charlie auf den Mund des Mannes, um einen Schrei zu ersticken.
    Wenig später schleifte Charlie beide Leichen in den Vorraum und verschloss die Eingangstür. Dann näherte er sich der zweiten Tür und lauschte. Leise Musik war zu hören, ein Klavierkonzert – Mozart vielleicht. Charlie glaubte es zu erkennen, war sich aber nicht sicher.
    Er ergriff den Türknauf, drehte ihn und drückte ganz sacht dagegen. Die Tür war unverschlossen. Charlie wartete, aber von der anderen Seite kam keinerlei Reaktion. Er drückte die Tür weiter auf, die Pistole in der Hand, der extrem kompakte Schalldämpfer nicht mehr als eine kleine Schwellung vorne auf dem Lauf.
    Der Mann im Bett sah von seinen Papieren auf. Er war stämmig, machte jedoch einen durchtrainierten Eindruck, hatte dichtes dunkles Haar und tiefliegende Augen. Verdruss spiegelte sich auf seinem Gesicht; er war es nicht gewöhnt, dass jemand unaufgefordert sein Zimmer betrat. Als er die schwarz gekleidete Gestalt vor sich sah, verwandelte sich der Ärger allerdings rasch in Schrecken. Seine Hand fuhr zum Alarmknopf neben dem Bett, doch sie hatte nicht einmal die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als eine Kugel seinen Schädel genau zwischen den Augen durchbohrte.
    Charlie trat näher heran, um absolut sicher zu gehen, dass der Mann tot war. Ein Teil seines Jobs war es, ganz sicher zu gehen, keinen Raum für Zweifel zu lassen. Es gab keinen, jetzt blieb nur noch eins zu tun. Es würde nicht lange dauern.
    Fünf Minuten später war er zurück im Wasser und umkreiste langsam die Lady Alexandra, bis er die gedämpfte Detonation des Sprengstoffs hörte, den er am Rumpf angebracht hatte. Er wartete, bis die Yacht, die sich im Wasser drehte wie eine verwundete Schildkröte, vollständig gesunken war. Dann rief er mit seinem Signalsender den Helikopter zurück, damit dieser ihn wieder an Bord nahm.
    Auf dem Flug zurück zur Basis blickte er hinunter aufs Meer und erinnerte sich an die Beschreibung, die ihm früher am Abend eingefallen war: Das Meer lag wie ein stahlgrauer Spiegel unter einem mondlosen Himmel. Woher hatte er diesen Satz? Normalerweise fielen ihm solche Sachen nicht von selbst ein.
    Doch wo immer er auch herkommen mochte, dachte Charlie, die Beschreibung entsprach absolut der Realität.
2
    Virgil Fry war ein unterwürfig wirkender kleiner Mann, der Charlies vollster Verachtung würdig gewesen wäre, hätte er sich überhaupt die Mühe gemacht, sich eine Meinung über ihn zu bilden. Frys rattenartige Züge und sein bleistiftdünner Schnurrbart waren ständig zu einem künstlichen Lächeln verzogen. In seinen billigen, grellen Klamotten sah er so aus, als würde er jeden Augenblick eine peinliche Tanz- und

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