ePub: Ashes, Ashes
zischte vorbei, ihr kräftiger schwarzer Leib so dick wie Lucys Handgelenk. Das Quieken eines Tiers erklang.
Lucy zog sich die Kapuze zurück ins Gesicht und versuchte in der unzureichenden Dunkelheit abzutauchen. Sie erstarrte. Unmittelbar vor ihr, am Ufer einer Lache mit frischem Regenwasser, den Bauch flach auf den Boden gepresst, lag ein Puma. Er war so nah, dass Lucy seine heraushängende rosafarbene Zunge sehen konnte. Sie fixierten einander. Lucy atmete kaum. Sie versuchte sich zu erinnern, ob im Handbuch stand, man solle sich tot stellen oder die Beine in die Hand nehmen. Der Puma rührte sich nicht. Lucys Finger tasteten nach dem Heft des Messers, um sich auf einen Angriff vorzubereiten. Gleichzeitig sagte sie sich lautlos, dass sie einen ganzen Schwall von Schnitten ausführen musste – weil die Klinge abgebrochen war und es aussichtslos war, damit zuzustechen. Jenseits der Stimme aber, die ihr dies sagte, lag die Gewissheit, dass sie gegen hundert Kilo durchtrainierte Muskeln und Knochen, eine wahre Killermaschine, keine Chance hatte – und die Hoffnung, dass der Tod schnell eintreten und die Angst und der Schock den Schmerz betäuben würden. Sollte sie vielleicht besser keinen Blickkontakt halten? Wirkte er bedrohlich?
Lucy schloss die Augen und murmelte ein rasches Gebet. Ihre gespannten Muskeln bebten. Sie zog den Kopf ein, versuchte, sich ruhig und gleichmäßig zu bewegen. Aber der Schlamm unter ihren Füßen war unberechenbar und rutschig. Mit einem Mal brachte sie das Gewicht der Wasserkanister aus der Balance. Lucy glitt aus und fiel auf den Rücken. Das Messer fest in der Faust, rappelte sie sich unverzüglich wieder auf. Ihre Jeans waren von oben bis unten von braunem Matsch durchtränkt. Der Puma war verschwunden, vollkommen lautlos, nicht mal ein zitternder Grashalm verriet seine Spur. Und jetzt merkte Lucy, dass die Hunde wieder zu hören waren, ein aufgebrachter Chor aus Bellen und Heulen, der inzwischen ein ganzes Stück näher gekommen war.Sie hörte das Stampfen und Dröhnen zahlreicher Pfoten auf dem Erdboden.
Über Lucys Kopf donnerte es gefährlich. Und dann, als wenn der Himmel sich öffnete, begann es zu regnen; eine wahre Sturzflut, die sie bis auf die Haut durchnässte und ihr die Kapuze an den Kopf klebte. Augenblicklich wurde der Boden weich. Lucy sah nach rechts: Hügel, auf denen das Gras zu Boden gedrückt war, zu flach, als dass sich ein Erdhörnchen darin hätte verbergen können. Und ein Stück weiter das tosende Meer. Links von ihr eine Reihe schlammiger Tümpel, die rasch größer wurden, und der rutschige Schlick, der an ihren Stiefeln klebte und sie bremste. Dahinter der vom Regen gepeitschte See. Lucy konnte die Umrisse der Statue des Mädchens erkennen. Der Regen hatte den Wasserpegel bereits über die Kappe des Fliegenpilzes ansteigen lassen. Das Wasser stand schon viel höher als letztes Jahr um diese Zeit, dachte Lucy.
Unmittelbar vor ihr, nur getrennt durch ein kurzes Stück durchweichten Buschlands, begann auf einer kleinen Anhöhe ein dichter, dunkler Wald. Hinter sich konnte Lucy den ersten Hund in ihre Richtung preschen sehen. Die Schnauze zu Boden gedrückt, den buschigen Schwanz aufgestellt, das Fell den Rücken entlang gesträubt, wie ein stacheliger Grat. Durch den Regenvorhang hindurch wirkte er wie ein Scherenschnitt, den man nach den Bildern eines Märchenbuchs angefertigt hatte: wolfsartig.
Ohne zu zögern, rannte Lucy auf den Wald zu, schlug wie ein panisches Kaninchen Haken um die Büschel aus rutschigen, scharfen Gräsern herum, bis sie an dichtes, dorniges Gestrüpp kam. Ohne auf die Stacheln zu achten, die ihr die Haut aufrissen und ihre Kleider zerfetzten, suchte sie Schutz hinter dem nächsten Baum – einer vom Wind zerzausten und von Salz vergifteten Pinie mit rauer, schuppiger Rinde und ohne einen einzigen Ast, der niedrig oder stark genug gewesen wäre, um daran hinaufzuklettern. Der Regen rann ihr in die Augen. Sie wischte sich mit der nassen Hand über das Gesicht. Die Wasserkanister zerrten an ihrem Hals. Eilig zog sie sich das Seil über den Kopf und verstaute die Kanister unter dem nächsten Strauch. Der Messergriff entglitt ihrer nassen Hand. Vergeblich versuchte sie, die Hand an ihrer feuchten Hose trocken zu reiben. Dann fasste sie das Messer erneut, legte die Stirn an den Baum und versuchte zu Atem zu kommen. Sie spürte einen Krampf in ihrer Seite und drückte ihre geballte Faust dagegen. Mit zusammengekniffenen Augen, den
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