ePub: Der letzte Zauberlehrling
pochte mit dem Zeigefinger auf die Holzplatte des Schreibtisches. »Dies ist ein Bericht über die neueste Teufelei deines Freundes Mirren.« Der Finger schoss in die Höhe und blieb, auf mich gerichtet, in der Luft schweben. »Und es ist höchst merkwürdig, dass du mir darüber nichts berichtet hast. Es sei denn ...« Er legte den Finger an seine Nasenspitze und tat so, als denke er nach. (Die Theatralik beherrschte er, das musste man ihm lassen.) »… es sei denn, du wusstest es wirklich nicht. Das würde bedeuten, dass Mirren dich ausgetrickst hat. Und wenn ihm das gelingt, dann frage ich mich natürlich, was du noch für mich wert bist.«
Das war eine überraschende Neuigkeit. Bislang war ich in der Tat davon ausgegangen, dass Mirren keine Geheimnisse vor mir hatte. »Das glaube ich nicht«, sagte ich. »Enthalten Eure Berichte Beweise, Herr?«
Er nahm das Papierbündel hoch und ließ es wieder auf den Tisch fallen. »Beweise? Du weißt so gut wie ich, dass alles, was Mirren und ich übereinander wissen, lediglich Hörensagen ist. Und doch verlasse ich mich auf das, was du mir erzählst – ohne einen Beweis vorzulegen. Warum sollte ich also nicht einem meiner treuesten Informanten vertrauen?«
»Darf ich fragen, um wen es sich handelt, Herr?«
»Das darfst du nicht!«, donnerte er. »Du weißt schon viel zu viel über mich! Manchmal frage ich mich, ob du nicht eher eine Bedrohung für mich darstellst als einen Nutzen. Vor allem, wenn dir so elementare Dinge entgehen.«
»Was hat Mirren denn gemacht, Herr?«
In den letzten Monaten hatte ich begonnen, Nublus über die Fortschritte zu unterrichten, die Mirren machte. Der Alte war ein großherziger Mensch, der viel für die Entwicklung der Zauberei getan hatte, aber die Grenzen, die er sich selbst auferlegt hatte, hinderten ihn daran, etwas wahrhaft Großes zu vollbringen. Nublus hingegen kannte solche Skrupel nicht. Er erforschte die Möglichkeiten, die ihm die Zauberei bot, bis ins kleinste Detail.
Es ist wohl klar, auf wessen Seite meine Sympathien lagen. Mit Mirren würde ich meine Hoffnung auf eine baldige Heimreise begraben können. Also begab ich mich in die Dienste von Nublus, dessen Rücksichtslosigkeit mir vielversprechender erschien. Natürlich konnte ich ihm ebenso wenig vertrauen wie Mirren, aber ich brachte ihm einige große Zaubersprüche mit, die Mirren nie benutzt hatte und die Nublus gut in den Plan passten.
»Was hat Mirren denn gemacht?«, äffte er mich nach. »Es scheint, du hast ihn unterschätzt. Er hat etwas entdeckt, was dir bislang verborgen geblieben ist.«
»Und was ist das?«
»Die Aura .« Er hob eines der Blätter hoch und las davon ab. » Wie Meister Mirren erklärte, ist die Aura ein Grundbestandteil unserer Welt. Sie ist sehr viel mehr als die Energie, aus der wir unsere Macht schöpfen. Die Aura ist eine außergewöhnliche und besondere Kraft, die aus dem Leben selbst entsteht. « Er ließ das Blatt sinken.
»Alles Humbug«, murmelte ich.
»Wie?« Seine Stimme klang schneidend.
»Das mit der Aura. Alles Unsinn. So etwas gibt es nicht. Zaubern ist Wissenschaft, nichts anderes.«
»Und wie erklärst du dir dann das hier?« Er fuhr zu lesen fort. » Er habe jetzt einen Weg gefunden, diese Aura zu erschließen, sagte Meister Mirren. Das sei allerdings nichts, was man andere lehren könne, denn die darin verborgene Macht sei zu groß. Deshalb habe er sich entschlossen, den Schlüssel zur Aura der Welt nur seinen Nachkommen mitzugeben, die ihn vor unbefugten Zugriffen schützen würden. «
Er blickte mich herausfordernd an. »Nun? Und was sagst du jetzt dazu?«
Was sollte ich ihm sagen? Ich kannte diese Theorie Mirrens, hatte ihr aber nie eine besondere Bedeutung beigemessen. Für mich fiel das in den Bereich des Aberglaubens. Doch offensichtlich würde sich Nublus mit dieser Erklärung nicht zufriedengeben.
»Das ist in der Tat neu für mich«, räumte ich demütig ein. »Ich werde aber sehen, was ich in Erfahrung bringen kann.«
»Das will ich dir auch geraten haben! Wenn diese Weltaura wirklich so mächtig ist, wie Mirren sagt, dann muss ich Zugriff darauf haben!«
Mit diesen Worten entließ er mich und ich kehrte zu Mirren zurück. Sosehr ich allerdings um ihn herumscharwenzelte, er ließ kein Wort darüber verlauten. Ich fragte mich zum wiederholten Mal, wer der Informant war, von dem Nublus gesprochen hatte. Es gab einige Schüler von Mirren, aber keinem von ihnen traute ich so einen Verrat zu.
Eines Abends,
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