ePub: Drachenhaut (German Edition)
zu stürzen.
»Panther, wenn der Mond wächst«, sagte Der Naga gebieterisch. »Kamel, wenn der Mond schrumpft. Dunkel, was hell war; trüb, was klar ist; böse, was gut war. Wachse und schrumpfe mit dem leuchtenden Mond, bis die Dunkle Nacht den Fluch von dir nimmt.« Er ließ die Hand sinken und der Prinz sackte mit einem leisen Seufzen lautlos auf den Stufen des Thrones zusammen.
Der Naga nickte dem Shâya freundlich zu und verschwand in einer dunklen, übel riechenden Wolke, die sich langsam ausbreitend zur Decke des Saales stieg und dort zu nichts zerfaserte.
Der Shâya schrie nach seinen Magiya und seinen Soldaten, der Weiße Obersteunuch stürzte zu seinem Zögling, dem Prinzen, und half ihm, sich aufzurichten, die Damen des königlichen Harems kreischten in den höchsten Tönen, und einige der Geburtstagsgäste suchten heimlich das Weite, um etwaigen Begleitschäden des Fluches zu entgehen. Die anderen trieb der Oberkämmerer geistesgegenwärtig in den Palastgarten, damit sie sich an den Köstlichkeiten erquicken und vom ausgestandenen Schrecken erholen konnten, aber vor allem, um den hingesunkenen Prinzen vor ihren neugierigen Blicken zu schützen.
»Was ist mit meinem Sohn?«, rief der Shâya, kaum dass der Saal sich geleert hatte.
Der Weiße Obersteunuch, der leise mit dem Jungen gesprochen hatte, hob den Kopf und nickte mit erleichtert rollenden Augen. »Er scheint unversehrt, Shâya.«
»Es geht mir gut, Vater«, fügte der Junge hinzu und klopfte mit einer verlegenen Geste sein Gewand ab. »Der Schlangenköpfige hat mich nur erschreckt mit seinem Spruch und der stinkenden Wolke.«
Der Shâya sank auf seinen Thron und schloss die Augen. »Den Göttern sei Dank.«
Der Oberste Hofzauberer, Krümel von Gebäck und Bratensauce in seinem gezwirbelten Bart, eilte mit flatternden Schößen herbei und fiel vor dem König auf die Knie. »Mein König«, keuchte er, »soeben hörte ich von dem Vorfall. Habe ich deine Erlaubnis, den Prinzen zu untersuchen?«
»Tu es, frag nicht lange«, rief der Shâya ungeduldig. Er winkte dem Oberkämmerer und befahl: »Lass den Torwächter auspeitschen für seine Nachlässigkeit. Einhundert Schläge auf die Fußsohle ‒ nein, warte. Die Peitsche für alle Torwächter, damit sie künftig darauf achten, wen sie einlassen.« Sodann rief er den Oberst seiner Janitscharen zu sich und befahl ihm, mit seinen Männern die Stadt zu durchkämmen und alle Wüstenleute festzunehmen, derer sie habhaft werden konnten. Diese sollte er dann ohne Ausnahme, ob jung oder alt, Mann oder Weib, zum Zeichen der Warnung an der Stadtmauer aufknüpfen.
Der Janitscharen-Oberst strich mit bedenklicher Miene seinen schwarzen Schnurrbart, denn weil er ein alter, kampferprobter Soldat war, widerstrebte ihm dies wahllose Hinschlachten von Zivilisten. Aber das Wort seines Königs war ihm heilig, und deshalb verneigte er sich und ging, um den Befehl auszuführen.
»Nun?«, herrschte der Shâya seinen Magush an. »Was sagst du?«
Der alte Mann hob sich mühsam von seinem Hocker, aufdem er vor dem Prinzen gesessen und dessen Kopf zwischen den Händen gehalten hatte, und verneigte sich. »Mein König«, sagte er, »darf ich mich nähern?«
Der Shâya winkte ihm voller Ungeduld. Der Magush raffte seine würdevolle Robe, erklomm mit steifen Knien die Stufen zum Thron und neigte sich dann dicht zum Ohr des Königs, wo er alsbald eifrig zu flüstern und zu wispern begann. Die Hofbeamten, die sich diskret ein Stück zurückgezogen hatten, beobachteten, wie der Shâya abwechselnd blass und rot wurde, wie seine Augen hervorquollen und er sich voller Zorn auf die Lippe biss.
Der junge Prinz saß derweil mit hoch erhobenem Haupt auf seinem Sessel und blickte starr geradeaus. Er fühlte sich offensichtlich nicht wohl in seiner Haut.
Ob er das Raunen hörte, das sich unter den Hofbeamten fortpflanzte wie Flügelschlag? »Dunkel, was hell war«, flüsterten Stimmen. »Mit dem Mond«, murmelten andere. »Wie steht der Mond? Ist er voll oder halb?«
Im gleichen Augenblick rief der Shâya nach seinem Astrologus. Der eilte herbei, den Arm voller Bücher und Tabellen, Astrolabien und Rechenschiebern. Er gesellte sich zum Hofmagush, und die beiden steckten die Köpfe zusammen, während der Shâya das Kinn in die Hand stützte und mit düsterem Gesicht den Prinzen betrachtete. Der saß scheinbar ungerührt, aber seine Hände umschlossen die Lehnen des Sessels so fest, dass die Knöchel weiß durch die dunkle Haut
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