ePub: Juniper Berry
stöhnen und begann leise und unheimlich zu singen. Kranke, entstellte Töne krochen kratzend und knirschend tief aus seiner Kehle empor und wuchsen beinahe zu einem Schrei an:
»Was ist richtig, was ist falsch?
Mein Kopf ist leer.
Ich seh nichts mehr.
Mein Kopf ist leer.
Nichts als weiße Leere.
Ich bin ich und doch nicht ich.
Ich bin nicht ich und bin doch ich.
Ich bin ich und doch nicht ich.
Ich bin nicht ich und bin doch ich.«
Dann griff er sich an den Bauch und begann wieder zu stöhnen, mit dieser Stimme, die nicht seine zu sein schien. »Oooohhh, oooohhhh.«
»Dad?«
Mr. Berrys Kopf fuhr herum, aber er schien direkt durch sie hindurch zu sehen. Seine Augen machten Juniper Angst, und mit klopfendem Herzen ging sie einen Schritt zurück, bereit, jederzeit wegzurennen.
»Ja, Juniper?« Die Worte klangen verzerrt, ihr Name war zu einem kehligen Fauchen geworden. Es klang, als würden zwei Stimmen gleichzeitig sprechen, die ihres Vaters und die eines anderen Wesens, das nicht von dieser Welt war. Er schluckte und hustete, musste beinahe würgen.
»Geht … geht es dir gut?«
»Nein«, flüsterte er mit einer Stimme, die wieder mehr nach ihm selbst klang.
»Was ist los?«
»Ich bin verloren. Die Rolle … ich komme einfach nicht damit klar. Entweder kann ich mich nicht in die Figur hineinversetzen oder sie lässt mich nicht mehr los. Ich weiß es nicht mehr. Die Teile passen nicht zusammen.«
Juniper verstand das nicht. Ihr Vater hatte in Dutzenden von Filmen die Hauptrolle gespielt und wurde von allen grenzenlos bewundert, am meisten von ihr selbst. Sie warf einen Blick auf das Regal mit den Filmpreisen. Zwei Oscars, vier Golden Globes und unzählige Kritikerpreise. Er hatte noch nie solche Schwierigkeiten mit einer Rolle gehabt. Noch niemals.
»Kann ich dir helfen?«
»Nein, ich fürchte nicht.«
»Warum nicht?«
Er sah wieder zur Decke, hob die Arme und raufte sich seine rotbraunen Haare. »Vergiss, was ich gesagt habe. Geh zu deiner Mutter und sag ihr, dass ich mit ihr reden muss. Beeil dich. Es ist dringend.«
Während er mit nach oben gestreckten Armen dalag und seine Finger an seinen dichten Haarbüscheln zerrten, rutschten seine Ärmel hinunter und entblößten rote Zeichen, die Juniper fast den Magen umdrehten. »Dad? Was ist das da auf deinen Armen?«
Schnell zog Mr. Berry seine Ärmel wieder nach unten und setzte sich abrupt auf. Er starrte sie aus kranken, rot glühenden Augen an und brüllte: »Raus!«
Als Juniper davonrannte, musste sie daran denken, was Giles von seinen Eltern erzählt hatte. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, und sie musste herausfinden, was es war. Sie ballte die Fäuste. Sie brauchte einen Plan.
Juniper wartete, bis ihre Mutter die Tür zum Arbeitszimmer geschlossen hatte, dann suchte sie nach der besten Stelle, um ihre Eltern zu belauschen. Als sie sie gefunden hatte, hielt sie ein Glas an die Tür. Sie drückte ihr Ohr gegen das Glas und schloss die Augen. Bald fanden die Worte ihrer Eltern ihren Weg durch die Tür und in das Glas.
»Wie lange ist es her?«, fragte Mrs. Berry. Ihre Stimme klang dumpf, war aber ansonsten gut zu verstehen. »Ich glaube, ich verliere allmählich jedes Zeitgefühl.«
»Halte nur noch bis heute Nacht durch.«
»Wir tun doch das Richtige, oder?« Mrs. Berry hustete heftig. Sie klang furchtbar krank, doch das schien Mr. Berry nicht zu kümmern.
»Da fragst du noch? Es ist der einzige Weg.«
»Du weißt, dass ich es hasse, dorthin zu gehen.«
»Willst du etwa sagen, das sei es nicht wert? Willst du alles aufgeben, was wir haben? Und zurückkehren zu … zu …« Mr. Berry brachte es nicht über sich, den Satz zu beenden.
»Zu unserem alten Leben?«
»Ich kann mich kaum noch daran erinnern. Du?«
»Es gibt nicht viel, woran man sich erinnern könnte, oder?«
»Nein, ich glaube nicht. Ein Grund mehr, um …«
Es gab einen Knall. Stöhnen und Poltern. Junipers Herz raste, als sie versuchte, aus den Geräuschen schlau zu werden.
»In mir drin …« Es war die Stimme ihrer Mutter. »Es tut so weh.«
»Steh auf. Kämpf dagegen an! Es wird schon dunkel. Bald können wir aufbrechen.«
Juniper hatte genug gehört. Sie floh in ihr Zimmer.
Stunden später, als der Plan endlich in die Tat umgesetzt wurde, bewegten sich die Schatten auf dem Flur. Juniper zog ihre Decke noch etwas höher und kniff die Augen zusammen. Es knarrte leise, als die Tür langsam geöffnet wurde. Einen Augenblick später tauchte der Kopf ihres
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