ePub: Juniper Berry
tun es gleichzeitig, auf drei.« Ihr Vater begann zu zählen: »Eins, zwei, drei.«
Sie führten die Ballons zum Mund, während ihre Finger hektisch die Knoten lösten. Gierig begannen sie, die Luft aus den Ballons zu saugen.
Dieses Geräusch ließ Juniper hochschnellen. Sie schlürften die Luft wie Suppe, immer schneller und schneller rann sie ihre Kehlen hinab.
Ohne nachzudenken, rannte Juniper ins Esszimmer. »Was macht ihr da?«
In diesem Moment begriff sie, was echte Angst ist.
Ihre Mutter drehte sich um. Ihr Gesicht war beinahe geschmolzen, unter ihrer Haut brodelte es, und sie schrie mit der grauenvollsten Stimme, die Juniper je gehört hatte: »Raaaauuuus!«
Die Worte klangen dunkel und erstickt, wie ein zerquetschtes, zerstörtes Nebelhorn. Die Augen ihrer Mutter sahen vollkommen anders aus als sonst, sie standen unnatürlich weit hervor, während die Iris zusammenschrumpfte. Ihre Lippen wurden schlaff und ihr Unterkiefer hing herab, als die Luft aus dem Ballon sich ihren Platz in Mrs. Berrys Körper suchte. Ihre Haut blubberte wie kochendes Wasser.
Bestialisches Stöhnen erklang vom anderen Ende des Tisches. Dort war der Kopf ihres Vaters nach hinten gekippt,seine Augen starrten zur Decke, als wäre er zufriedengestellt, doch seine Beine zitterten heftig und sein Körper zuckte. Er sah nicht ein einziges Mal zu seiner Tochter.
Während die Adern an ihrem Hals anschwollen, schrie Mrs. Berry noch einmal: »Raaaauuuuus!«
Und Juniper floh aus dem Zimmer.
Nach einer schlaflosen Nacht voller Angst verließ Juniper vorsichtig ihr Zimmer. Bereits auf der Treppe merkte sie, dass etwas anders war als sonst. Der Geruch nach gebratenen Eiern lag in der Luft, und sie hörte, wie es in einer Pfanne auf dem Herd brutzelte. Sie lief durch das Haus und betrat die Küche. Draußen ging gerade die Sonne an einem orangefarbenen Himmel auf. Ihre Eltern saßen am Tisch und frühstückten, ohne ein Wort miteinander zu wechseln. Aber Juniper spürte sofort, dass die Luft vor guter Laune förmlich vibrierte.
»Wie schön, dass du schon wach bist«, begrüßte sie ihre Mutter. »Wir haben dir etwas übrig gelassen.« Sie schob einen Teller mit herrlich duftendem Rührei und einem Würstchen zu der sprachlosen Juniper hinüber. »Iss, iss, iss«, gurrte sie.
Verwirrt und zögernd nahm Juniper Platz, ohne ihreEltern aus den Augen zu lassen. Doch sie machten einen durch und durch freundlichen Eindruck, keine Spur von Verlegenheit oder Schuldgefühlen wegen der Dinge, die sie in der vergangenen Nacht getan hatten. Mrs. Berry lächelte und Mr. Berry pfiff vor sich hin. Er gab sogar Kitty, die ebenfalls äußerst wachsam war, etwas vom Rührei ab (das tat er sonst nie) und behauptete, Eier seien gut für ihr Fell.
Erinnerten sich ihre Eltern überhaupt noch daran, was nur Stunden zuvor geschehen war? Jetzt, im direkten Vergleich zu ihrem Zustand in der vergangenen Nacht, wirkten sie voller Energie. Ihre Haut war glatt und ihre Körper strotzten vor Kraft. Das Einzige, was sie verriet, waren ihre Augen. Ihr Glanz, an den Juniper sich aus ihrer frühen Kindheit erinnerte, war fast völlig verschwunden. War dies schon wieder eine neue Version ihrer Eltern?
»Die Eier schmecken köstlich«, sagte Mr. Berry zu seiner Frau. »Genau das, was ich heute brauchte. Es gibt so viel zu tun. Jetzt weiß ich endlich, wie ich diese Figur angehen muss. Ich kann ihre Stimme genauso deutlich hören wie meine eigene. Es ist, als würde sie schubsen und drängeln, um endlich hinausgelassen zu werden. Diese Rolle wird mein Meisterwerk. Ich weiß es einfach.« Er klatschte in die Hände und reckte eine Faust in die Luft, was ein bisschen peinlich aussah.
Juniper sah zu ihrer Mutter, die fröhlich zu sprechen begann. »Wer hart arbeitet, braucht auch ein vernünftiges Frühstück.« Sie schaufelte Rührei auf eine Scheibe Toast und nahm einen großen Bissen. »Heute Mittag beginnendie Proben. Ich habe überhaupt keine Angst mehr. Ich bin sicher, sie werden mich innerhalb kürzester Zeit mit Lob überschütten. Ich höre schon, wie sie von mir schwärmen. Ihr auch?« Alle lauschten, sogar Kitty.
»Es ist von Filmpreisen die Rede. Von den Golden Globes. Vielleicht sogar vom Oscar …« Mr. Berry hielt die Hand an sein Ohr und grinste.
»Ich weiß, wir haben beide gute Chancen auf eine Nominierung.«
»Es ist immer wieder schön, plötzlich aufzuwachen und einen neuen Blick auf die Dinge zu haben. Die Schwere des Lebens ist fort. Ich fühle mich
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