ePub: Juniper Berry
geschlossenen Lippen. »Ich mach jetzt Pause. Seht zu, dass ihr nicht in Schwierigkeiten geratet, ihr zwei.« Er ging davon.
Juniper und Giles schauten sich an. Seine Worte schienen in der Luft nachzuklingen, selbst diejenigen, die er nicht ausgesprochen hatte.
Juniper ließ ihre Finger noch einmal über die Kerbe gleiten. Ihr Vater hatte Dimitri verboten, den Baum zu fällen. Warum?
Sie setzten die Suche nach Erklärungen noch eine Weile fort. Juniper inspizierte nicht nur den Baum selbst, sondern auch seine nähere Umgebung, aber sie konnte nichts entdecken. Es gab keine neuen Erkenntnisse. Worin bestand die Verbindung zwischen ihren Eltern und Giles’? Was bedeuteten die auf die verkohlten Blätter gekritzelten Wörter und Zeichen, die Lichtung, der Baum? Sie mussten etwas übersehen haben. Aber was?
Nach einer knappen Stunde hatten sie die fehlende Verbindung immer noch nicht gefunden. Erschöpft und ratlos beschloss Juniper, es für diesen Tag gut sein zu lassen. Doch weder Juniper noch Giles wollten sich jetzt schon voneinander trennen.
»Ich muss noch nicht nach Hause«, sagte Giles. »Ich glaube, meinen Eltern ist es inzwischen sowieso egal, wann ich komme und gehe.«
»Tja, der Tag ist noch lang«, stellte Juniper fest. »Was würdest du gerne machen?«
»Was machst du denn normalerweise so?«
»Normalerweise bin ich allein«, gab sie zu.
»Was ist mit all den Leuten vor eurem Tor? Hast du dich nie mit einem von ihnen angefreundet? Sie würden bestimmt alles dafür geben, dich kennenzulernen.«
»Ha! Das würden meine Eltern nie und nimmer erlauben! Ich darf nicht mal in die Nähe des Tors. Mein Vater sagt, diese Leute sind verrückt, aber ich glaube, er sorgt sich mehr darum, dass es ein Gerichtsverfahren und schlechte Presse geben könnte.«
»Wahrscheinlich hat er recht«, sagte Giles. »Aber sie würden dich bestimmt mögen. Du bist klug und hübsch.« Er sah weg. »Über mich würden sie sich nur lustig machen.«
»Das stimmt nicht. Wie kommst du darauf?«
»Ist schon okay, ich bin daran gewöhnt. Sieh mich doch an, dürr und klapprig wie ich bin. Die Leute warten nicht ohne Grund vor dem Tor, um einen Blick auf deine Eltern zu erhaschen. Sie wollen alle genauso sein wie sie. Aber niemand will so sein wie ich. Und weißt du, was, ich willsowieso nichts mit ihnen zu tun haben. Am liebsten würde ich einfach abhauen, von hier verschwinden und nie mehr zurückkommen. Ich brauche niemanden, ganz ehrlich.«
Seine Worte verletzten Juniper. Sie hätte ihn gerne gefragt, ob das auch für sie galt, doch sie schwieg.
»Ich könnte allein leben«, fuhr Giles fort. »Ich weiß, dass ich es kann. Das Problem ist nur, dass es auf dieser Welt überall Menschen gibt.«
Nur hier nicht , dachte Juniper.
»Wir könnten unsere eigene kleine Welt haben, Giles. Genau hier.«
Er lachte. »Klingt gut. Unser eigener Planet. Bis ich wieder in die Schule muss.«
Und so lebten sie den Rest des Tages in ihrer eigenen Welt und jeder hatte im anderen einen Freund gefunden.
Obwohl beide keine große Erfahrung mit Freundschaften hatten, taten das einsame Mädchen und der verstoßene Junge genau das, was zwei Freunde tun sollten. Juniper freute sich so darüber, einen Freund zu haben, dass sie den Baum beinahe vergaß. Natürlich würde es nicht lange dauern, bis sie wieder daran erinnert werden würde – spätestens wenn sie das nächste Mal ihren Eltern begegnete –, aber ein paar Stunden lang fühlte sich Juniper fast unbeschwert.
Juniper und Giles unternahmen einige interessante Expeditionen zu besonders abgelegenen Stellen des Grundstücks, machten um die Lichtung aber einen großen Bogen. Sie beobachteten mit Junipers Ferngläsern eine Menge Vögel und Tiere, die sie alle in Junipers Notizbuch festhielten.
»Kann ich damit bis ins Weltall sehen?«, fragte Giles und suchte den Himmel mit dem Fernglas ab.
»Nicht einmal annähernd. Aber ich habe ein Teleskop in meinem Zimmer.«
»Kann ich es mir mal anschauen?«, fragte Giles aufgeregt.
Juniper sah zu Boden und murmelte: »Das erlauben meine Eltern bestimmt nicht.«
»Oh.« Giles zupfte an seiner löchrigen Jeans herum und wippte auf seinen Absätzen. »Kannst du weit damit sehen?«
»Mit dem Teleskop? Sehr weit. Ich habe schon Sternschnuppenschwärme, die Phasen der Venus, Mondkrater und, mit meinem Sonnenfilter, Sonnenflecken gesehen. Ich habe sogar die Schatten der Jupiter-Monde auf seiner Oberfläche gesehen.«
»Wow, echt? Stell dir bloß vor, was
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