Equinox
ihn aller Gegenwehr zum Trotz in die gleiche Richtung.
»Nichts, nichts«, rief ich gleichmütig. »DJ Scuzzi hat nur ein bisschen einen Techno-Koller.«
Denn das war es, das war die unfassbare Wahrheit: Sie hatten Scuzzi hier auf dem Schiff zu so einer Art Generalmusikdirektor gemacht. Einen Mann, der alle Alben von Supertramp besaß, von Lionel Richie und, mein Gott, sämtliche Lps und Singles von Phil Collins und Genesis. Ein Mann, dessen Plattenschrank man auch »die Top 10000 der seichtesten Titel aller Zeiten« nennen könnte, ein Mann, der Mariah Carey nach eigener Aussage vergötterte, ein Mann, der geweint hatte, als Kirmestenor Freddy Mercury endlich in den Staub biss, dieser Mann also kontrollierte die komplette Beschallung dieses ganzen verfluchten Kahns, und wenn sich jemand gefragt haben sollte, wieso ich seit meiner Ankunft an Bord mehr als nur ein bisschen dem Alkohol und anderen Stimulanzien zusprach, möchte ich den hiermit eindringlich an den Oberbegriff »Betäubungsmittel« erinnern. Der Tag, an dem mir hier der Stoff ausginge, wäre der Tag, der mich den Heimweg per Kopfsprung antreten sah. Vom Heck herunter, und scheißegal, ob Land in Sicht oder nicht.
Nacht für Nacht legte Scuzzi in der größten Disco an Bord auf, dem »Chagalle«, und die Drohung war noch nicht erfunden, die mich über die Schwelle dieses Etablissements geschickt hätte, jedenfalls nicht, bevor nicht jemand vorausgegangen wäre, um den Stecker zu ziehen, den DJ bewusstlos zu schlagen und die ganze Bude schalltechnisch zu desinfizieren.
Scuzzi schien Ahnliches über unser gemeinsames Wohn-Schlafgemach zu denken.
»Ich geh da nicht rein«, presste er hervor und spreizte alle viere von sich wie eine Katze, die man am Nackenfell über die volle Wanne hält.
»Wr können dir das erklären«, beschwichtigte Jochen und packte ihn energisch an der Gürtelschnalle.
»Das hat alles Hand und Fuß«, versicherte ich, keuchend vor Anstrengenung, und stemmte ihm mein Knie in die Kehrseite.
»Ja, aber keinen Kopf mehr!«, protestierte Scuzzi, doch da hatten wir ihn schon drinnen und ich warf die Tür ins Schloss.
»Weißt du, was ich gedacht habe …«, sagte Scuzzi, ein paar Erklärungen später, und das Zahnputzglas klapperte eine Tango-Percussion gegen seine Zähne, »ich dachte …«, und er nahm einen weiteren Schluck Armagnac, deutete mit nicht mehr ganz so wild oszillierendem Finger in die Richtung, in der Jochen damit beschäftigt war, den Kopf wieder zurück in den Plastiksack zu stopfen, »ich dachte ehrlich, das wärst du.«
Ich schluckte etwas trocken, war doch die Flasche an meinem Hals wieder mal leer. Nulldrei ist einfach keine Maßeinheit für Bier.
»Wassn los?«, fragte ich und blinzelte aus Schlitzen direkt in die gottverdammte Sonne, einer der Nachteile einer Steuerbord-Außenkabine auf dem Weg nach Norden. Der Lack auf der Innenseite der Tür war schon rissig geworden, so hatte jemand von außen dagegen gehämmert.
»Habt ihr keine Ohren?«, fragte Matrose Radovic, genannt Ratso, zurück, und da hörte ich es auch: »15A und 15B auf die Brücke!« Es war Zoutebooms Stimme, und sie klang, nun ja … blechern über die Außenlautsprecher, und ausgesprochen … nun ja klang sie auch. Ich sah auf die Uhr. Es war neun. Zwei satte Stunden erholsamen Schlafes lagen hinter mir.
»Das ist jetzt bestimmt schon das zehnte Mal«, meinte Ratso auf eine durch und durch zufriedene Art. Der nur um die einsfünfundsechzig große Matrose war ein geborener Hustler, hatte seine Finger in sämtlichen schmutzigen kleinen Deals hier an Bord und genoss es, schlechte Nachrichten zu verbreiten und Leute in Schwierigkeiten zu sehen. Seine Theorie war, dass Ärger, der andere traf, sich nicht mehr gegen ihn richten konnte.
»Habt ihr euch das mit Gazella mal überlegt?«, fragte er, in den Türrahmen gelehnt, während ich 15 A, den immerhin Ersten Borddetektiv, am Ohr aus dem Bett und mir gleichzeitig mit der freien Hand die Hose anzog. Ratso machte - unter anderem, oh ja - den Zuhälter für eine Weißrussin, Bademeisterin der Equinox und ehemalige Olympiateilnehmerin, wenn auch nicht ganz sicher war, in welcher Disziplin. »Ich mach euch einen Gruppentarif. Drei Kerle zusammen in einer Kabine und keine Frau, das ist doch nicht normal.«
Das, nur mal eben nebenbei, von dem Mann, der mir, noch keine halbe Stunde an Bord, schon seine Dienste als Lustknabe angeboten hatte.
»15A und 15B unverzüglich auf die Brücke«,
Weitere Kostenlose Bücher