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Equinox

Equinox

Titel: Equinox Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Stirn gegen das kühle gelblich lackierte Metall. Ich malte mir aus, wie Scuzzi seine Tapes zusammenstellte, wie er jede einzelne CD ins Licht hielt und sorgfältig danach bewertete, inwieweit sie mir wohl wider die Natur gehen könnte. Und dann stellte ich mir vor, wie ich »Eternal Lovesongs« einem mitfühlenden Richter vorspielte und er die Tat von Mord auf Totschlag im Affekt zurückstufte, mir mildernde Umstände zugestand und die Strafe großzügig zur Bewährung aussetzte.
    Die Gänge des Personaltraktes mochten kahl sein, schlecht beleuchtet, muffig und eng, aber sie waren dankenswerterweise frei von dieser säuselnden Pein namens Muzak.
    »15B bitte an der Rezeption des A-Decks melden!« Nur die Durchsagen beschallten das komplette Schiff ohne Ausnahme.
    Vorsichtig zog ich die Tür auf für einen zweiten Versuch.
    … to say how much Ica-ha-ha-ha-hare … Peng, Tür zu. Es hatte keinen Zweck. Es ging nicht. Nicht ohne Betäubung. Und mein Entschluss zu einem klaren Kopf, bevor er auch mir vom Rumpf getrennt wurde, war noch zu frisch, die Nervenenden noch zu blank, als dass ich mich der an Terrorismus gemahnenden Gehirnwäsche hätte stellen können, die DJ Scuzzi für seinen ganz persönlichen Auftrag zu halten schien.
    Eigentlich war ich unterwegs gewesen, um mich mal in Fjodrs Kabine umzusehen, doch ich verschob das Vorhaben auf später. Da konnte das A-Deck noch so oft nach 15B verlangen. 15B nahm eine Auszeit.
     
    Ich sah den Gang rauf, dann runter. Ich war allein. Ich schloss auf, ließ mich ein, drückte die Tür zu, schloss hinter mir wieder ab.
    Wie das, ohne Generalschlüssel? Nun, ich hatte mir, aus eben dieser Kabine hier, Wassilijs besorgt, bevor ich meinen eigenen abgegeben hatte. Simpel.
    Einen Augenblick lang lauschte ich noch auf Schritte im Gang, dann begann ich mich umzusehen.
    Das Zimmer eines Toten hat immer etwas Beklemmendes.
    Über dem Bett ein schmales Regal mit abgegriffenen Büchern. Lieblingsbücher, Dutzende von Malen gelesen. Ich schluckte. Genau so eine Sammlung hätte ich auch mitgenommen, wenn etwas mehr Zeit zur Vorbereitung der Reise gewesen wäre.
    Albaner, dachte ich. Antonov hatte versprochen, die Computerlisten für mich durchzuforsten, doch stellte sich damit auch gleich die Frage, wie weit ich ihm trauen konnte. Und das war, meinem Gefühl nach, nicht besonders weit. Nein, je länger ich diese Frage erörterte, desto kürzer wurde die Strecke.
    Unter dem Bullauge eine grobe Holzkiste. Ich hob den Deckel. Sie enthielt bauchige, in Stroh eingewickelte Flaschen georgischen Weines. Genau so eine Kiste hätte ich vermutlich auch auf der Bude, dachte ich. Bloß, dass es sich bei mir jetzt schon um reines Leergut handeln dürfte. Auf dem Nachttisch ein Foto. Wassilij, mit seinem blendenden Lächeln, in Dinner-Uniform, Arme um eine hutzelige kleine Frau und einen zahnlos grienenden alten Mann gelegt. Seine Eltern. Und wir hatten ihn einfach über Bord geschmissen. Na, vielleicht besser so. Gott, mir wurde schlecht bei dem Gedanken, wie sie die Nachricht aufnehmen würden. Vom angeblichen Selbstmord.
    Ich geb euch »Selbstmord«, dachte ich mit frisch erwachtem Grimm. Lang und schmutzig.
    Ich zog den Spind auf. Blaue Alltagsuniform, weiße Dinner-Uniform, heller, leichter Sommeranzug, dicker, pelzgefütterter Wintermantel. Alles hing schön ordentlich nebeneinander. Ordentlich bis auf die Tatsache, dass gleich zwei der ersten paar Taschen, die ich abtastete, auf links gezogen waren. Im Fach obendrüber Pullis, Sweater, Hemden, Unterwäsche in ordentlichen Stapeln. Doch wiederum nur auf den ersten Blick ordentlich. Ging man sie mit dem Daumen durch, waren immer wieder Teile dabei, die verknickt auf den anderen lagen. Die Socken waren alle durcheinander. Hier und da hingen sie noch paarweise zusammen, ein Stückchen ineinander gewickelt, doch die meisten hatte jemand zur Gänze abgerollt. Schuhe in Spannern. Schuhspanner. Wann hatte ich meinen letzten Schuhspanner gesehen?
    Ich ging zum Nachttisch, zog die Schublade auf. Sie war leer bis auf gleich vier goldene Armbanduhren, verknäult und achtlos hineingeworfen. Ich kenne niemanden, der seine Schuhe so pflegt und gleichzeitig seine Uhren so behandelt.
    Wer immer die Kabine durchwühlt hatte, war nicht auf der Suche nach Wertsachen gewesen. Und was immer er oder sie gesucht hatte, es musste klein sein. Klein genug, um in ein Sockenknäuel zu passen oder unter eine Schublade geklebt zu werden. Also: Wer immer hier am Werk

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