Er ist wieder da
Akademie, dann wüsste er heute, wovon er redet. Irrtümer wären somit nur noch in ganz außergewöhnlichen Fällen möglich. Wie in dieser Angelegenheit mit der »Bild«-Zeitung. Da, muss ich zugeben, hatte ich mich getäuscht.
Ich war davon ausgegangen, das Pressegesindel würde über mich herfallen, meine Politik, meine Reden. Tatsächlich sandte man mir vor allem eine Horde Fotografen hinterher. Und schon zwei Tage später erschien ein großes Bild von mir, wie ich an einem der Stehtische des Zeitungskrämers Tee aus einem Pappbecher zu mir nahm. Der Krämer hatte sich zu mir gesellt, eine Flasche Limonade in der Hand, die jedoch in der Form einer Bierflasche ähnelte. In großer Schrift stand darüber:
Man muss tatsächlich zugeben: Der Zeitungskrämer hatte rein die Garderobe betreffend nicht seinen allerbesten Tag gehabt. Das lag daran, dass er sich vorgenommen hatte, Renovierungstätigkeiten an den Fensterläden zu erledigen. Insofern hatte er einige ausgemusterte Kleidungsstücke angelegt und einen Arbeitskittel darübergezogen, den er in den Zigarettenpausen ablegte und dann in der Tat so schäbig aussah, wie man – niemand kann das besser beurteilen als ich – es von jemandem bei der Verfertigung von Malerarbeiten erwarten kann. Aber deswegen war der Zeitungskrämer noch längst kein Säuferfreund von mir, wie ich ja ohnehin keine Trinkerfreundschaften pflege. Dennoch war mir schon diese Angelegenheit ausgesprochen unangenehm, letztlich hatte der Zeitungskrämer nun eine derartige Behandlung wirklich nicht verdient. Erfreulicherweise wusste er den Vorgang richtig zu nehmen. Ich hatte mich gleich des späteren Vormittags aufgemacht, um mich bei ihm für die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen. Aber er hatte kaum Zeit für mich.
Ich traf ihn vor seinem Kiosk stehend an, wie er eine trotz des regnerisch kalten Wetters erstaunlich große Zahl von Leuten bediente. Ein großes Plakat prangte auf dem Kiosk über dem Verkaufsfenster: »›Bild‹ kaufen – heute mit mir und dem irren Youtube-Hitler!«
»Sie kommen gerade recht!«, rief er, als er mich sah.
»Ich wollte mich eigentlich entschuldigen«, rief ich zurück, »aber inzwischen weiß ich nicht mehr genau, wofür.«
»Ich auch nicht«, lachte der Zeitungskrämer, »schnappen Sie sich einen von den Filzstiften und signieren Sie! Das ist das Mindeste, was Sie für Ihren Säuferfreund tun können.«
»Sind Sie’s wirklich?«, fragte auch sogleich ein Bauarbeiter, der mir seine Zeitung hinhielt.
»Jawohl«, sagte ich und signierte das Blatt.
»Als ich das mitbekommen habe, hab ich sofort ein Extrakontingent bestellt«, erzählte der Zeitungskrämer verkaufend über die Köpfe hinweg. »Ja, Sie können gleich rübergehen, der Herr Hitler signiert gerne.«
Tatsächlich signiere ich gar nicht so gerne. Man weiß nie, was die Leute mit so einer Unterschrift anfangen. Da schreibt man arglos seinen Namen auf einen Zettel, am nächsten Tag bastelt einer eine Erklärung oben drüber und plötzlich hat man Siebenbürgen unwiederbringlich an irgendwelche korrupten Balkangebilde verschenkt. Oder bedingungslos kapituliert, obwohl man doch noch eine gewaltige Zahl an Vergeltungswaffen in den Bunkern hat, mit denen man die Kriegswende nach Belieben herbeiführen könnte. Aber auf einer Zeitung schien die Unterschrift letzten Endes unbedenklich. Außerdem freute es mich, dass sich das erste Mal niemand beschwerte, dass ich nicht als Herr Stromberger oder sonst wie unterzeichnete, sondern mit meinem Namen.
»Hier bitte, quer über das Foto!«
»Können Sie ›Für Helga‹ drüberschreiben?«
»Kannsdu nächstes Mal auch was gegen die Kurden sagen?«
»Wir hätte damals in Krieg zusammegehn sollen! Dann wir hätte gewonn!«
Ein kleines Mädel wurde mit seiner Zeitung nach vorne durchgeschoben, ich signierte das Blatt besonders langsam. Das sollten sie ruhig fotografieren: Die Jugend vertraut dem Führer wie ehedem. Und nicht nur die Jugend. Eine steinalte Dame näherte sich mit einem jener modernen Gehwagen und einem Leuchten in den Augen. Sie hielt mir ihre Zeitung hin und sagte mit einer sehr zittrigen Stimme: »Erinnern Sie sich? 1935, in Nürnberg, ich war in dem Fenster gegenüber, wo Sie den Vorbeimarsch abgenommen haben! Ich hatte immer das Gefühl, Sie sehen mich an. Wir waren so stolz auf Sie! Und jetzt – Sie haben sich ja überhaupt nicht verändert!«
»Sie aber auch nicht«, flunkerte ich scherzhaft und schüttelte ihr gerührt die
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