Er war ein Mann Gottes
war es einfach selbstverständlich, so früh als möglich aktives Kirchengemeindemitglied zu werden.
Da Pfarrer Punktum mit der Erlaubnis zum Ministrantinnendienst keineswegs seine Abneigung gegen Mädchen als Helferinnen am Altar abgelegt hatte, wies er dem neuen Vikar nicht nur die generelle Jugendarbeit der Gemeinde zu, sondern auch die Ministrantenausbildung, und hier speziell diejenige von uns weiblichen Erstlingen. Er selbst wollte mit uns nichts zu schaffen haben.
Der neue Vikar
Ich glaube, Frederic begeisterte mich und alle anderen Mädchen sofort. Groß, schlank, mit schwarzen Locken, die sich trotz des Kurzhaarschnitts im Nacken und über den Ohren kräuselten, lachte er gern und oft. Anders als der strenge Herr Pfarrer verstand er nicht nur Spaß, sondern alberte von sich aus mit uns herum. Und das Herrlichste war, wenn die Jungen uns ärgerten, ergriff er fast immer Partei für uns Mädchen.
Mädchen, sagte er, stünden unter dem besonderen Schutz der heiligen Jungfrau Maria. Deshalb müssten die Jungen nett zu uns sein und uns Jüngerinnen der Mutter Jesu als Ministrantinnen akzeptieren. Auf diese Weise gelang es ihm tatsächlich, die zuvor fehlende Akzeptanz der Jungen für uns Ministrantinnen zu gewinnen und uns Mädchen erfolgreich in den liturgischen Dienst einzuführen.
Mit seiner gewinnenden, charmanten Art eroberte der neue Vikar jedoch nicht bloß die Herzen der Jugend im Flug, sondern auch die aller Damen der Kirchengemeinde. Selbst meine sonst eher reservierte Mutter sprach beim sonntäglichen Mittagstisch über die strahlenden Augen des neuen Vikars, der bei der Predigt so schön in die Gemeinde schaue, dass sie mit so großer Andacht hab„e lauschen müssen wie beim alten Herrn Pfarrer Punktum noch nie.
Meine Tante Isidora, die als Gemeindehelferin im Pfarrbü-ro arbeitete und noch immer auf der Suche nach dem passenden Mann war, stimmte meiner Mutter mit einem bedauernden Stoßseufzer zu: »Ja, ja, Gott Vater beruft halt eben immer die Besten.«
Mein Vater, der sich soeben ein Fleischküchle aus der Schüssel nehmen wollte, grummelte mit vollem Mund: »Wie man besonders am Herrn Pfarrer Punktum sieht«, und warf mir dabei einen lustig blinzelnden Blick zu, so dass ich in den Kartoffelbrei prustete und die Bluse meiner Mutter damit besprenkelte.
Natürlich durften wir Mädchen uns bei unserem ersten Einzug in die Kirche als Ministrantinnen unter keinen Umständen blamieren. Folglich erhielten wir einen Sonderkurs bei unserem neuen Vikar, um alles Nötige über die verschiedenen Riten und Rituale zu erfahren und zu lernen.
»Ihr alle werdet künftig die volle, bewusste und aktiv tätige Teilnahme an den liturgischen Handlungen eures Priesters übernehmen und stellvertretend für die ganze Gemeinde bestimmte Aufgaben ausführen«, sagte er einleitend. »Und weil ihr die dazu auserwählten Helferinnen und Helfer seid, sollt ihr mich von nun an als euren geistlichen Vater mit Du und bei meinem Vornamen nennen.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ihn, einen geweihten Mann Gottes, unseren Vikar, durfte ich bei seinem Vornamen nennen. »Frederic.«
»Wenn ihr als Ministranten und Ministrantinnen zur Gabenbereitung Brot und Wein aus der Mitte der Gemeinde zum Altar tragt«, erklärte Frederic uns, »zeigt ihr allen Gemeindemitgliedern, dass jeder Einzelne unter ihnen seine ganz persönlichen Gaben, seinen Alltag, seine Sorgen und Bitten, seine Gedanken und seine Freude zu Gott bringen darf. Alle diese Gaben sind dem Herrn willkommen. Und ihr seid die Auserwählten, die sie ihm bringen.«
Andächtig hörten wir ihm zu und bemühten uns, ihm die fremd klingenden Namen der einzelnen Ministranten nachzusprechen und auswendig zu lernen.
Ein »Thuriferar« trägt das Weihrauchfass. Ein »Navikular« bedient das Weihrauchschiffchen beim Einzug vor dem Prozessionskreuz. Beide schwingen Fass oder Schiffchen, um den Duft des im Innern schwelenden Weihrauchs zur Ehrung des Altars, der Hostien, der Monstranz, des Evangeliums sowie des Priesters und der Gemeinde zu verbreiten. Der dicke Schwaden ziehende Rauch, den es in Hunderten verschiedenen Duftnoten gibt, soll als mit allen Sinnen zu erfassendes Zeichen für den zu Gott aufsteigenden Lobpreis und das Gebet durch die Kirche schweben.
Ein »Ceroferar« trägt Kerzen und Leuchter zum Altar. Außerdem läutet er beim Hochgebet vor den Abendmahlsworten des Herrn oder beim Zeigen des heiligen Brotes und des Weins die Altarglocken, die man auch
Weitere Kostenlose Bücher