Er
reingefütterte Gemüsebrei nach einer Vermengung mit Magensaft über Jensens Pullover gespuckt wurde. Er fragte sich, warum es keine Overalls für Eltern zu kaufen gab, abwaschbare, aber modische Arbeitsbekleidung, gegen Aufgeld bestickt mit den Namen der Arbeitgeber. Aber gebraucht hatte er sich gefühlt, froh war er gewesen, dass Annick, weil sie blind war, ihm nicht ins Handwerk pfuschte und er Marleens Aufträge ganz alleine ausführen musste. Die Erinnerung daran war schmerzhaft, aber für mehr als einen kurzen Schmerz blieb Jensen keine Zeit, die Klavierlehrerin musste verabschiedet werden, und Lea sagte: »Neununddreißig eins. Toni. Wenn du ihr Essen holen könntest. Das wäre toll. Unten. Ein Vietnamese. Ist gut.«
Ihre Lippen waren trocken, und sie waren geschrumpft. Im Schlafzimmer stank der Essig, das war seine einzige Wirkung.
»Nimm wenigstens ein Aspirin«, sagte Jensen.
Ihre Energie reichte, um den Kopf lange zu schütteln.
»Du hast es versprochen«, murmelte sie, schon halb im Schlaf.
Jensen besorgte beim Vietnamesen krosse Ente, die Toni vor dem Fernseher essen wollte, sie sagte: »Bitte, bitte! Und frag nicht Mama, es ist unser kleines Geheimnis, okay?« Ein Geheimnis konnte von Vorteil sein, fand Jensen, er zuckte die Schultern: »Ich weiß von nichts.«
»Aber ich bin nicht bestechlich«, sagte Toni und setzte sich die Kopfhörer auf, damit ihre Mutter den Fernseher nicht hörte.
Jensen aß seine Ente in der Küche, der Hund schaute hoffnungslos zu. Um ihn zu verwirren, hielt Jensen ihm ein Entenscheibchen hin, der Hund verstand die Welt nicht mehr. Waren die Gesetze geändert worden? Galten neue Regeln? Er wählte den Weg der Sicherheit, wie immer, wenn er vor Entscheidungen stand, schnüffelte nur an dem Fleisch und biss auf die Zähne.
»Wie du willst«, sagte Jensen und tat so, als verschlinge er das Scheibchen. Es wurde Zeit, dass er sich von dem Hund trennte, das Tier hatte einen schlechten Einfluss auf ihn. Eine schmerzvolle Vergangenheit, dachte er, verdirbt den Charakter.
Er schaute nach Lea, die den Kopfteil ihres Bettes hochgestellt hatte, damit sie im Sitzen krank sein konnte. Ihre geröteten Wangen fand er anziehend.
»Du möchtest jetzt sicher gehen«, sagte sie in einem Tonfall, den er als Wunsch verstand, nein zu sagen.
»Nein«, sagte er. »Hast du das Fieber noch mal gemessen?«
»Wozu? Schau dir meine Augen an. Die fühlen sich an wie zwei kleine Lagerfeuerchen.« Sie sagte, sie habe vorhin ihre Freundin Anna angerufen. »Es wäre mir lieber, wenn heute Nacht jemand hier wäre. Es würde mich beruhigen.« Aber Anna fliege morgen früh nach Mailand, auf eine Modemesse. Anna habe trotzdem kommen wollen, aber sie habe natürlich abgelehnt.
»Ich kann auf dem Sofa schlafen«, sagte Jensen. Er war glücklich über die Entwicklung, wäre sehr ungern jetzt entlassen worden, er fühlte sich hier heimisch.
»Das ist großartig«, sagte Lea. Sie lächelte mit geschlossenen Augen. »Toni kann dir zeigen, wo du Bettdecke und Kissen findest. Es ist ein Schlafsofa, mach dir keine Sorgen.«
Zwei Stunden später löschte Jensen in der Wohnung das Licht. Er legte sich aufs Sofa, zog sich die Decke bis zum Kinn und verharrte einen Moment lang in purer Zufriedenheit. Ein mildes, stilles Licht fiel von draußen her ins Zimmer, das Gurgeln des Aquariums verhieß ein gemütliches Einschlafen.
Aber der Tag hielt ihn wach. Die vielen kleinen Geschehnisse drängten alle noch einmal auf die Bühne, vieles musste erneut erlebt werden. In der Hauptrolle trat Lea auf, wie er ihr die Essigsocken anlegte, das Loch in ihrem Ärmel, und wie sie ihm das Versprechen abnahm, ihr und Toni niemals etwas anzutun. Eine Mutter allein mit ihrem Kind, und er war ja ein Fremder, dem sie den Zutritt zu ihrer Wohnung erlaubte, sie ging ein Risiko ein, damit hätte man es sich erklären können. Aber diese Erklärung befriedigte ihn nicht, er hatte ja ihre Augen gesehen, kein Misstrauen war darin, sondern ein Wissen. Eine schlimme Erfahrung, dachte er, einer der Männer hat sie und Toni bedroht. Vielleicht ging von jedem Mann, der sie näher kennenlernte, schließlich eine Gefahr für sie aus, das konnte Jensen sich gut vorstellen.
Nach einer Weile wurde ihm klar, dass das Plätschern des Aquariums nicht ausreichen würde, er brauchte eine stärkere Dosis Wassergeräusche. In den ersten Monaten nach Annicks Geständnis hatten sich auf seinem Nachttisch kleine, längliche Pillen versammelt. Er brach sie in
Weitere Kostenlose Bücher