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Er

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Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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Schweiß, aus dem Mund nach Milch, ihr Bauch war heiß und nass.
    Jensen flüsterte: »Das ist keine fiebersenkende Maßnahme.«
    »All Ding sind Gift und nichts ohn Gift«, zitierte sie.
    Eine Weile blieb sie noch neben ihm liegen, dann ging sie, wortlos, er hörte das Quietschen ihrer Zimmertür.
    Er lag wieder allein auf dem Sofa, aber es war ein anderes. Die Gerüche in der Luft waren andere. Die Decke war nass. Er war nass. Er konnte so nicht schlafen, benötigte eine trockene Decke und eine Dusche. Auf Zehenspitzen überquerte er das alte Parkett, in dessen Fugen das Knarren lauerte, von dem er nicht wollte, dass es Toni weckte. Er wäre ihr ungern begegnet, mit einer Wolldecke um die Hüften. Als er in die Badewanne stieg, fühlte er sich ganz leicht, der Sex hatte innere Gewichte reduziert, im Aufwind seiner Gefühle hätte Jensen aus dem offenen Badezimmerfenster hinüber aufs Dach des Nebenhauses fliegen können. Er drehte die Dusche nur halb auf, um leise zu sein. Lange ließ er das Wasser über sich rinnen, ein wenig trauernd über den mit Lea geteilten Schweiß und die Gerüche, die er nun verlor. Er trocknete sich mit dem größeren der beiden Badetücher ab. Gern hätte er sich im Spiegel betrachtet: Wie sah einer aus, der glücklich war? Aber der Spiegel war vom Wasserdampf beschlagen, und nun trat das Bekenntnis hervor, das jemand mit dem Finger auf den Spiegel geschrieben hatte, als dieser, wie jetzt, nach dem Duschen beschlagen gewesen war.
    Jensen starrte die Schrift lange an, sein Herz kühlte aus.
    Da stand:
    DU BIST DIE FRAU MEINES LEBENS

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    8
    Z UM ERSTEN MAL FLIEGEN. Zum ersten Mal im Ausland. Zum ersten Mal in einem Taxi. Es war, als würde das Leben noch mal alles in die Auslage stellen, um ihn umzustimmen.
    »Wie in Boston«, sagte Sean, der zum ersten Mal seit der Abreise kein Buch in den Händen hielt.
    »Was?«, fragte Angus. Merkwürdig, dass die Neugier nie nachließ. Eigentlich interessierte ihn gar nicht, was hier wie in Boston war. Und andererseits wollte er es doch wissen.
    »Die breiten Straßen«, sagte Sean.
    Und dann immer die Enttäuschung. Man kam sich für seine Neugier dumm vor. Natürlich waren die Straßen hier breit.
    »Wegen der Panzer«, sagte Angus. Er hatte keinen Grund, die Deutschen zu mögen. Sein Großvater Ian stopfte sich 1944 in den Ardennen die Gedärme in das Loch, das eine deutsche Handgranate in seinen Bauch gerissen hatte. Die Geschichte kam alle Weihnachten auf den Tisch, zusammen mit gesottenem Guga. Angus hörte seine Großmutter sagen: »Wenn Ian mir im Oktober 43 im Heimaturlaub nicht gezeigt hätte, wie der Spargel in die Dose kommt, würdet ihr alle jetzt gar nicht hier sitzen.« Angus sah sie in die Bratpfanne spucken, das war ihre Methode, herauszufinden, ob die Pfanne heiß genug war. Wenn die Spucke zischte, legte sie den Speck rein.
    Der Taxifahrer war ein Betrüger aus dem Orient.
    »Hotel? Ja. Aber welches?«, sagte er, sollte wohl Englisch sein. »Wo?«
    »Wie bitte?«, fragte Sean.
    »Hotel«, wiederholte der Fahrer. »Welches? Welcher Stadtteil? Okay?«
    Okay war das einzige Wort, das er richtig aussprach.
    Seit einer halben Stunde fuhr er im Kreis, so groß konnte Berlin gar nicht sein, sie hätten das Zentrum längst erreichen müssen.
    »Mitte?«, fragte der Fahrer.
    »Zentrum?«, fragte Sean.
    »Ja, Mitte?«
    »Gut. Hotel. Zentrum. Dorthin.«
    »Kürzester Weg«, sagte der Fahrer. »Viele Baustellen.«
    »So groß kann die Stadt gar nicht sein«, sagte Angus zu Sean, der auf dem Beifahrersitz saß. »Der fährt im Kreis.«
    »Nichts Kreis«, sagte der Fahrer. »Kürzester Weg. Viel Verkehr.«
    Vorher waren’s noch viele Baustellen, dachte Angus.
    Sie fuhren durch Straßen, die nicht aufhörten. Die Häuser waren aneinandergebaut. Die Leute konnten also nicht um sie rumgehen. Das Wichtigste an einem Haus war aber doch der Garten.
    »Kaninchenställe«, sagte Angus, das hatte er mal in der Zeitung gelesen im Zusammenhang mit einem Hochhaus in Glasgow.
    »Keine Wolkenkratzer in Berlin?«, fragte Sean den Fahrer.
    »Potsdamer Platz«, sagte der Fahrer. »Aber niedrig.«
    »In Boston sehr hoch«, sagte Sean.
    Sie fuhren.
    Bei einem Ampelhalt sah Angus auf der anderen Straßenseite eine junge Frau in einem kurzen, roten Rock. Sie trug schwarze Strümpfe, und ihre Beine waren gerade und lang. Er bekam sofort einen Steifen und war mit sich zufrieden. Er war dreiundvierzig und hatte noch genug Haare für zwei, richtig schwarze Haare

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