Er
nicht mehr erkannt.
»Nein, ich hab keine andere«, sagte er.
»Wär mir auch egal«, sagte sie. »Ich würd den Unterschied nicht merken.«
»Und seit wann ist das?«
»Seit wann’s mir egal wäre? Das kannst du dir ja wohl ausrechnen.«
»Nein. Seit wann spreche ich im Schlaf?«
»Hab ich was von Sprechen gesagt? Das ist Brabbeln. Quatschen. Wie du eben bist.«
»Seit wann?«
»Seit einem Monat, wenn du’s wissen willst. Seit du von Sula Sgeir zurück bist. In der ersten Nacht danach hast du schon gebrabbelt.« Sie warf das Besteck auf den Teller. »Glaubst du eigentlich, dass ich das noch zehn Jahre aushalte? Ich hab auch meinen Stolz. Ich bin eine Frau. Und jetzt schau mich mal an!«, schrie sie. So war sie eben, jeden Monat ging ein Teller zu Bruch, sie war eine MacLeod, die brachten immer besonders viele Teller in die Ehe mit, damit nach fünfzig Jahren noch zwei übrig blieben. Angus schaute ihr mit verschränkten Armen beim Theatermachen zu, den Ton blendete er aus, er dachte: Sie hat nichts mitbekommen. Aber wenn ich im Schlaf rede, muss sich etwas ändern.
»Ich schlafe von heute an im Gästezimmer«, sagte er. Schon der Gedanke daran beruhigte ihn. Das Gästezimmer lag drei Türen vom Schlafzimmer weg. Dort konnte er im Schlaf reden, so viel er wollte.
»Ich hätte Calum haben können!«, schrie Alison.
»Das sagen alle«, sagte Angus.
»Der hätte mich geschwängert! Zweimal! Dreimal! Fünfmal!«
Der Mond wanderte hinter das Fensterkreuz, er war eine sehr langsame Uhr. Angus schluckte ein Gähnen runter, mit Gähnen durfte er gar nicht erst beginnen. Sean war auf Sula Sgeir dabei gewesen. Er würde verstehen, was ich brabble, dachte Angus, der aber zu müde war, um sich anzuziehen und leise zu sein, und die Kneipe musste ja erst gefunden werden, und niemand garantierte ihm, dass der Kellner mit sich reden ließ, und wenn der kein Englisch sprach, war die Idee sowieso Bockmist. Angus dachte daran, sich einen Zipfel des Kissens in den Mund zu stopfen, dann hätte er im Schlaf schlecht reden können. Aber es war sehr schwierig, schlafenden Schafen Strohhalme in die Nasenlöcher zu stecken, ohne dass sie erwachten. Angus hatte es als Kind nur einmal geschafft, und hinterher stellte sich raus, dass das Schaf tot gewesen war. Was ich damit meine, dachte Angus, als rede er zu jemand anderem, ist, dass ich das Kissen nicht im Mund behalten werde.
Er beobachtete Sean. Viel gab es nicht zu sehen, nur einen Haufen blonder Locken auf dem Kissen. Auf seine Locken bildete Sean sich viel ein, dauernd wickelte er sie sich um den Finger, und wenn er an einem Mädchen vorbeiging, schüttelte er die Mähne wie ein Gaul. Sein selbstgefälliges Schnarchen machte Angus jetzt wütend. Warum waren die Geschenke so ungleich verteilt? Warum durfte Sean, der an allem schuld war, schlafen, während Angus die Augen brannten? Für alles war Sean verantwortlich, da biss die Maus keinen Faden ab.
Angus dachte an jenen Tag vor zweiundzwanzig Jahren. Es regnete, Wind aus Südwest brachte das Heidekraut zum Zittern, und oben auf dem Hügel sah man schon das Rosalea, der Anblick raubte Angus die Kraft aus den Knien, den Lenden, dem Magen, er spürte eine Art Aushöhlung. Seine schweißnasse Hand lag in der von Lea, er führte das schönste Mädchen der Insel ins Rosalea, aber die Engel sangen nicht oder wenn, dann hörte es nur Lea. Für Angus hatten sie noch nie den Mund aufgemacht, er kannte sie nur mit verknoteten Trompeten. Ihm hing damals ein Bauch über den Gürtel, seine Mutter war eine Mästerin, mästete Kaninchen, Hühner und Söhne, sie verwechselte Fürsorge mit Butter. Die Engel standen vielleicht Spalier, mit nackten Füßen im Torfboden, aber Angus drehten sie den Rücken zu, denn sie fanden es ungebührlich, dass einer, der aus einem Haus ohne Farbfernseher stammte, mit dem schönsten Mädchen der Insel unterwegs war zum Rosalea. Angus zog einen Schuh Wasser aus dem feuchten Boden, Lea lachte, sie verzieh ihm immer alles, er war das Vögelchen auf ihrer Hand.
»Liebst du mich wirklich?«, fragte er.
»Ja, Angus. Ist das so unverständlich?«
Sie war so schön, dass es wehtat, er durfte nicht hinschauen. Es war der Glanz eines Lebens, das er nie führen würde, er war ein an Land geschwemmter toter Fisch. Ihr Vater würde ihn mit der Schuhspitze der Katze vors Maul schieben. Der alte Alasdair, schon damals nannten ihn alle so. Er hatte als Erster begriffen, dass Krabbenzucht Geldzucht war, er konnte die
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