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Er

Er

Titel: Er Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linus Reichlin
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meine?«
    Angus nickte. »Hat sie«, sagte er.
    »So was«, flüsterte Calum. »Dann hab ich wohl nicht richtig zugestoßen.«
    Angus verpasste Calum eine Faust aufs Ohr, und damit hingen die Bilder an der Wand, wie man auf Lewis sagt.
    Der Mond stand jetzt in der zweiten Fensterhälfte. Seans Schnarchen bekam etwas Rührendes. Angus schnalzte mit der Zunge, Sean wurde still. Das kleine Bübchen mit den krummen Beinen, die falsche Nachricht, die es verbreitet hatte, es war einfach verrückt. Angus drückte sich das Kissen an die Brust, er musste etwas festhalten, um nicht laut herauszulachen. Sie glaubten es alle heute noch. Sean, Calum, der alte Alasdair, ganz Port Nis, die ganze Insel, alle hätten heute noch ihre Köpfe verwettet, dass er damals mit Lea geschlafen hatte. Nur er und Lea kannten das Geheimnis, und noch einer. Aber den hatte das Meer verschluckt.
    Angus fielen die Augen zu, sie waren so schwer.
    Er dachte an damals.
    Er sah Lea hinter der Mauer hervorkommen, sie hatte auf ihn gewartet. Ihr Rock flatterte im Wind, sie drückte ihn mit beiden Händen nieder. Sie musste laut sprechen, der Wind lärmte, sie sagte: »Was ist denn? Warum sprichst du nicht mehr mit mir?«
    »Hau ab«, sagte er. »Ich liebe dich nicht mehr.« Es gab nur diese Wörter, es war nicht so, dass er eine Wahl gehabt hätte. Man pökelte Schinken, damit er haltbar blieb, und Angus pökelte jenen Tag im Rosalea. Der Tag war so gut wie eine Medaille beim Schafzuchtwettbewerb, Angus hatte jetzt einen Namen, sein Schwanz trug das Goldene Band, denn er war der, der Lea Murray entjungfert hatte. Noch schwieg sie und gönnte ihm den Sieg, den er wenigstens so lange genießen wollte, bis ein anderer dahinterkam. »Es ist aus zwischen uns«, sagte er. Jetzt konnte er, wenn sie es rumerzählte, behaupten, sie lüge aus Wut darüber, dass er ihr den Laufpass gegeben hatte. Es war mies, aber Angus hatte nun mal nichts zu verschenken.
    »Die wurde mir zu anhänglich«, sagte Angus im Pub, wenn die anderen fragten, warum er sie abgehängt hatte, und sie fragten es jeden Samstagabend. Er verstand nicht, warum sie den Mund hielt. Er an ihrer Stelle hätte die Hände zum Trichter geformt und es in ganz Port Nis rumgeschrien: »Angus ist ein gottverdammter Lügner! Er hat nicht mal die Hose aufgekriegt!« Manchmal dachte er, dass sie ihn vielleicht wirklich liebte, die Bewunderung der anderen war ihm zu Kopf gestiegen.
    Ein halbes Jahr nach jenem Tag im Rosalea, an einem Sonntagnachmittag, verließ Angus’ Mutter das Haus, um der alten Kate Wemyss eine Warze wegzubeten, und als sie zurückkam, riss sie Angus die Zeitung aus der Hand und schrie: »Hast du noch nie was von Rausziehen gehört!«
    »Was denn?«, fragte er. »Was rausziehen?«
    Sie schlug ihm ins Gesicht.
    »Sie ist schwanger! Du Idiot hast sie geschwängert! Das ist alles, was du kannst, rumhuren und nicht aufpassen! Ich hätt deinem Vater besser einen geblasen, als es um dich ging!«
    »Ich leg mich mal ein bisschen hin«, sagte Angus.
    Er wollte nicht mehr leben. Das Leben war cleverer als er. Er war dieser versteckten Intelligenz nicht gewachsen. Damit wollte er nichts mehr zu tun haben. Irgendetwas schob ihn hin und her, so wie man aus Langeweile eine Münze auf dem Tisch hin und her schiebt.
    »Den Teufel wirst du tun!«, schrie seine Mutter. »Du gehst jetzt rüber zu den Murrays und entschuldigst dich. Und wenn der alte Alasdair dir den Schädel einschlägt, bedankst du dich gefälligst. Und richte ihm vorher aus, dass er mir damit einen Gefallen tut.«
    »Ich leg mich hin«, sagte Angus, die Mutter hielt ihn am Pullover fest, er stieß sie weg, das hatte er noch nie getan, aber jetzt war es richtig. Sie stürzte rücklings über den Sofatisch, ihre Beine ragten einen Moment lang in die Höhe, er sah unter ihrem geblümten Hauskleid ihre Unterhose. Er fand es merkwürdig, dass sie eine trug, es machte sie menschlich und gewöhnlich, und er begriff, dass er sie eigentlich liebte und für mehr hielt, als sie war.
    Er schloss sich in seinem Zimmer ein, legte sich aufs Bett und wartete. Der Tod würde natürlich nicht von alleine kommen, aber das Warten auf ihn war ein Anfang. In der Scheune hing die Mauser, die sein Großvater bei seinem letzten Fronturlaub mitgebracht hatte. Sie funktionierte nach all den Jahren immer noch tadellos, davon konnten die kranken Schafe ein Lied singen.
    Angus schaute sich vom Bett aus sein Zimmer an. Er hatte sich hier nie wohl gefühlt. Das Einzige,

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