Er
Hebriden noch nie gehört oder denken an Skandinavien. Ja, ich bin Schottin, halb jedenfalls. Mein Vater ist Schotte, meine Mutter stammte aus Berlin. Und jetzt iss!«
Sie riss ein Stück Fleisch vom Brustknochen und stopfte es sich mit nassen Fingern in den Mund.
Jensen genügten ein paar Muskelfasern, sie waren erstaunlich zart, schmeckten aber wie in Lebertran mariniertes Entenfett.
»Gar nicht mal so schlecht«, sagte er, um ihre Kindheit nicht zu beleidigen.
»Lügner.«
»Na gut, es schmeckt scheußlich.«
»Jetzt kennst du mich besser«, sagte sie.
»Warum?«
»So schmeckt meine Heimat. So schmecke auch ich.«
»Das glaube ich nicht.«
Sie küsste ihn, drehte ihre Zunge in seinem Mund, ihr Atem roch nach Fisch und Fett, Jensen wurde übel, er beendete den Kuss.
»Siehst du«, sagte sie.
Dann sprach sie von etwas anderem, von ihrem Geburtstag nächste Woche und dass Anna sie nach Venedig eingeladen habe, Frank, ihr Freund, werde auch dabei sein.
»Möchtest du mitkommen? Ich würde mich freuen.«
Jensens Verpflichtungen waren gering, er war in Brügge abkömmlich, die Zimmerpflanze war vermutlich sowieso bereits verdurstet.
»Ja«, sagte er. »Gern. Ich komme mit.«
»Tust du mir aber einen Gefallen? Kaufst du dir Cordhosen?«
»Warum?«
»Das wirst du schon sehen.«
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11
D ER MOND BERÜHRTE das Fensterkreuz. Der Baum bei den Parkplätzen neigte sich nach links. Nordöstlicher Wind, dachte Angus. Es war immer wichtig zu wissen, aus welcher Richtung der Wind wehte, es setzte einen selbst in den Mittelpunkt, und dort war man sicher. Über die Dächer ragte die Spitze des Turms mit der Christbaumkugel, ein lächerliches, aber nützliches Gebäude, sobald man wusste, in welcher Richtung es lag, nämlich Osten. Sean hatte das in dem kleinen Fremdenführer gelesen, in den er dauernd die Nase steckte. Angus orientierte sich an dem Turm, der die Welt zurechtrückte.
Unter dem Mond rutschte eine Wolke durch.
Sean schnarchte wie ein Kind.
Es war drei Uhr achtzehn.
Angus hatte beim Abendessen sechs Tassen Kaffee getrunken, denn sie schliefen im selben Zimmer. Daran hatte er nicht gedacht. Er machte sich manchmal zu wenig Gedanken, auf vieles war man dann nicht gefasst. Wie eben auf dieses Zimmer. Das hätte er wissen können, das Geld reichte nicht für zwei Hotelzimmer.
Angus saß im Bett, mit verschränkten Armen. Unbequem hielt wach. Er winkelte ein Bein an, noch unbequemer. Sean drehte sich auf die andere Seite, grunzte, griff sich an den Hintern, kratzte sich. Angus konnte Seans Schlaf nicht trauen, das stand fest. Er verschränkte die Arme im Nacken, noch sehr viel unbequemer.
»Hör dir das an«, sagte Sean am Nachmittag, »in Berlin gibt’s Kneipen, die vierundzwanzig Stunden am Tag offen sind. Ich glaube, das gab’s in Boston nicht.«
Er ist nicht mein Kindermädchen, dachte Angus. Er war Sean im Notfall keine Rechenschaft schuldig. Er konnte sich anziehen und in einer dieser Kneipen die Nacht verbringen. Wenn er was trank und sich mit dem Kellner gutstellte, drückte der bestimmt ein Auge zu, wenn er am Tisch ein Nickerchen machte.
Und wenn ich im Schlaf rede, dachte Angus, wird’s der Kellner nicht verstehen, weil er Deutscher ist. Und selbst wenn er es verstehen würde, könnte er damit nichts anfangen.
Wie Alison.
»Die ganze Nacht quatschst du wirres Zeug!«
In ihrem Morgenmantel, den Angus ihr zur Hochzeit gekauft hatte, saß Alison am Tisch, zwischen ihren Zähnen zerbröselte der verkohlte Frühstücksspeck, sie spuckte beim Reden Teilchen davon auf seinen Teller, auf dem die übliche Trauer herrschte. Die Spiegeleier zu durchgebraten, die Bohnen zu kalt, die Würstchen genauso verbrannt wie der Speck. Es lag daran, dass Alison beim Kochen Radio hörte. Man konnte nicht zwei Dinge gleichzeitig tun, aber das kapierte sie nicht.
»Was denn?«, fragte Angus. »Was quatsche ich denn?« Das Eigelb klebte ihm am Gaumen, er bekam nicht mehr genug Spucke zusammen, und was ihm im Mund fehlte, rann ihm über die Stirn. »Nun sag schon, was?«
»Ist mir doch egal, was du da brabbelst«, sagte sie. »Oder soll ich’s jetzt auch noch aufschreiben? Die ganze Nacht nicht schlafen und aufschreiben, was du brabbelst? Hast du eine andere?« Ihre Augen veränderten sich nicht bei dieser Frage. Es waren dieselben Augen, mit denen sie sagte: »Wird heute dreimal regnen.« Der Morgenmantel war früher, als Angus ihn im Geschäft sah, rot gewesen, aber wer das nicht wusste, hätte es
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